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Katja Kaiser im Streitmobil
Psyche

Zuhören und sich verstehen beim Streitmobil

Im Rahmen unserer Kampagne „Im Gespräch bleiben – Haltung zeigen“ sprechen wir mit pme-Mitarbeiterin Katja Kaiser aus Hamburg über ihr ganz besonderes Projekt, das STREITMOBIL. Sie erzählt, was sie dazu bewegt hat, mit welchen Themen die Menschen kommen und wie wir trotz Meinungsverschiedenheiten im Gespräch bleiben können. 

Liebe Katja, wie ist das Streitmobil entstanden? Wie kamst du auf diese Idee?

Katja Kaiser: Gestartet habe ich mit meinem Streitmobil 2020.  Das erste Mal daran gedacht habe ich vor einigen Jahren in einem Kurs zu Gewaltfreier Kommunikation beim pme Familienservice. Da habe ich festgestellt, dass man Gefühle auch noch anders ausdrücken kann als mit den Worten traurig, wütend und so weiter. Das fand ich spannend, denn ich wollte im beruflichen und auch im privaten Kontext noch mehr Kommunikationsmethoden an der Hand haben. Nach weiteren Kursen zur Gewaltfreien Kommunikation stand die Idee vor mir: Unser Stadtteil in Hamburg braucht ein Streitmobil. Der Name war für mich von Anfang an klar: Wir alle haben Streit. Manche können nicht streiten, manche haben das Gefühl, sie streiten zu viel – und in meinen Kursen habe ich einfach gelernt, wie erleichternd das ist und wie bereichernd streiten sein kann. 

 Was ist das Streitmobil?

Das STREITMOBIL von Katja Kaiser ist ein ehrenamtliches, kostenfreies Stadtteilprojekt in Hamburg. Es lädt Menschen dazu ein, Konflikte konstruktiv und mittels gewaltfreier, achtsamer Kommunikation zu lösen. Für ein friedvolles Miteinander. 

Das Streitmobil wird aus Mitteln des Bezirksamtes Altona gefördert.

Wie können wir uns das Streitmobil vorstellen? 

Ich hatte gleich ein klares Bild vor Augen. Ich habe zu meinem Mann gesagt: “Wir brauchen einen alten Bulli, und dann schreib ich 'Streitmobil' drauf. Das haben wir dann mit Unterstützung von Familie, Freunden und einer Grafikerin professioneller aufgezogen, und so stand eines Tages dieser Wagen vor meiner Tür, darauf stand „Streitmobil – zuhören und sich verstehen“.

Ich hatte erstmal Angst vor meiner eigenen Courage, meine Idee aber schon gut im Kopf. Ich habe einen Aufsteller gemacht, auf dem steht „Ärgerst du dich über dich selbst oder jemand anderen? Sprich darüber am Streitmobil, ohne Kosten, gefördert von Stadt Hamburg“. Vor dem Wagen stehen zwei Stühle, auf einem sitze ich und lese nebenbei in meinen Fachbüchern. Ich möchte die Menschen nicht sofort abfangen, wie in einer Boutique. Wenn Menschen länger stehenbleiben, gehe ich auf sie zu. Die Gespräche finden dann entweder draußen statt oder wir setzen uns in das Streitmobil, da haben wir einen geschützten Raum.

Wie oft und wo bist du mit deinem Streitmobil unterwegs?

Mittlerweile mache ich das sechs Stunden in der Woche an drei festen Tagen: sonntags im Volkspark, montags auf einem Supermarktparkplatz und mittwochs in Ottensen auf dem Marktplatz. Ich habe die Standorte getestet und gemerkt, dass auch ich mich dort wohl und sicher fühlen muss, ansonsten geht das Konzept nicht auf.

 Komm vorbei!

Montags, 17-19 Uhr: Parkplatz Edeka, Gasstraße Otto von Bahrenpark, Hamburg
Mittwochs, 11-13 Uhr: Ottensener Marktplatz, Hamburg
Sonntags, 11-13 Uhr: Eingang Volkspark August-Kirch-Straße, Hamburg

 

Wer kommt zu dir zum Streitmobil?

Das sind Männer wie Frauen und neuerdings auch Kinder. Es kommen auch Netzwerkpartnerinnen und -partner, die mir ihr Angebot vorstellen oder Menschen, die einfach sagen: „Hey, danke, dass du das machst!“. Das gibt mir ein gutes Gefühl und Kraft, weiterzumachen.

Kommen neben der Laufkundschaft auch regelmäßig die gleichen Menschen zum Streitmobil? 

Ja, ich habe tatsächlich feste Kundschaft. Das ist das Schwierigste, weil ich kein Dauerangebot sein möchte. Denn damit kommt auch eine gewisse Verantwortung, da es dann schon in Richtung Therapie geht. Das Streitmobil soll ein Impuls-Angebot sein, um gewaltfreie Kommunikation weiter zu tragen. Und es funktioniert, weil es niedrigschwellig ist.

Was sind häufige Themen?

Die Menschen, die zum Streitmobil kommen, haben hauptsächlich Paarprobleme, Nachbarschaftsthemen und Probleme in der Arbeit. Da geht es dann vor allem um die Zusammenarbeit mit dem Chef, der Chefin oder Kolleginnen und Kollegen.

Zur Corona-Zeit gab es viele Streitthemen rund um die Frage “Impfen oder nicht?”.
Da kamen viele, die sich mit Freunden und Familie verstritten haben, die sich isoliert gefühlt haben, traurig waren und den Kontakt zum Freundes- und Familienkreis schmerzlich vermissten.

Was ich auch spannend finde: Wenn jemand kommt und sagt „Streitmobil - darf man denn bei Ihnen hier noch was sagen? Man darf ja sonst nichts mehr sagen“. 
Dann antworte ich „Natürlich, dafür bin ich doch hier“. Ich positioniere mich dann einmal, sage kurz, wie ich zum jeweiligen Thema stehe. Aber ich rede nicht dagegen an. Ich höre zu. Es ist genau das: Im Gespräch bleiben und gleichzeitig seine Haltung zeigen.

Du hast jetzt schon den Kern unserer Kampagne “Im Gespräch bleiben – Haltung zeigen” angesprochen. Was genau hat dich an der Kampagne interessiert? 

Das Streitmobil ist ein Friedensprojekt. Trotz des Namens geht es darum, dass wir verbunden und im Gespräch bleiben und dass eine Menschlichkeit weiterhin sichtbar ist, zwischen uns in den Stadtteilen oder in der Arbeit. Dass wir trotz Meinungsdifferenzen im Gespräch bleiben, ist eine ganz große Kunst.

Bei der Frage, wie wir das schaffen, kann uns die gewaltfreie Kommunikation sehr helfen, indem wir uns sagen: Verbindung vor Lösung. Wenn sich im Gespräch die Fronten verhärten, und ich will unbedingt recht haben, dann kann ich überlegen: Warum ist mir das so wichtig? Was kann ich tun, um die Verbindung nicht zu verlieren?

Und das finde ich so magisch: wenn man es schafft, noch so viel Raum zu haben und zurückzutreten. Daher finde ich die Kampagne "Im Gespräch bleiben - Haltung zeigen" so wertvoll, weil viel von Spaltung gesprochen wird, und dass wir auseinanderdriften.  Und dann zu schauen: “Wie kann ich noch verbunden bleiben mit dieser Person, die so ganz anders denkt als ich?". 

 Gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg

Die Gewaltfreie Kommunikation (GfK) nach Marshall B. Rosenberg ist eine Haltung, die Menschen hilft, friedlich und respektvoll miteinander zu sprechen, um Konflikte zu lösen und Beziehungen zu verbessern. Die vier Schritte der GfK:

  • Situation beschreiben, nicht urteilen: Was ist passiert?
  • Gefühle benennen: Wie fühle ich mich?
  • Bedürfnisse äußern: Was brauche ich? Was liegt mir auf dem Herzen?
  • Eine Bitte aussprechen: Was möchte ich, das geschieht?

 

Ist es dir schon passiert, dass du nicht weitergekommen bist im Gespräch oder dass dich jemand sprachlos gemacht oder so erschüttert hat, dass es keine Lösung mehr gab?

Auf jeden Fall. Gerade wenn Menschen mit krassen Überzeugungen oder Verschwörungstheorien kommen und sich sicher sind, dass sie wissen, wie sich die Welt dreht und ich aus ihrer Sicht keine Ahnung habe. Die größte Schwierigkeit ist dann, da nicht einzusteigen, sondern nur kurz den eigenen Standpunkt zu positionieren. Letztendlich muss und kann ich diese Menschen in diesem Moment nicht überzeugen. Es geht auch nicht darum, wer recht hat. Es geht darum, noch in Verbindung zu bleiben.

Weißt du jetzt eine Lösung, wie ein solches Gespräch anders verlaufen kann?

Ich löse es mittlerweile so, dass ich sage, dass das Thema sehr komplex ist, und dass wir vom Wohnzimmer aus keine Lösung für diesen Konflikt finden, etwa wenn es um politische Fragen oder Kriege geht. Dass es sehr viel braucht, um diesen Komplex zu verstehen, und dass ich glaube, dass das wirklich beängstigend ist. Oft höre ich bei meinem Gegenüber raus, dass da viel Angst ist. In dem Fall geht es darum, die Menschen abzuholen und im Gespräch zu bleiben, statt konfrontativ dagegen anzusprechen.


 

Wie stärkst du dich für diese Aufgabe? 

Ich ziehe viel Kraft aus der Gewaltfreien Kommunikation. Es hilft mir sehr, zu schauen, wie ich mich mit diesen Menschen verbinde und was da für ein Bedürfnis dahintersteckt.

Und ich stärke mich durch eine bewusste Offenheit: Auch bei mir gehen Schubladen auf, wenn ein Mensch auf mich zukommt. Ich denke, das ist ganz normal. Aber ich sage mir dann: immer offen bleiben, mal sehen, was sich bei diesem Menschen dahinter verbirgt. 

Zusätzlich habe ich eine ehrenamtliche Supervisorin, zu der ich immer gehen kann. Auch das hilft mir sehr. 

Auch bei mir gehen Schubladen auf"

Ein Beispielszenario: Eine gute Freundin, ein guter Freund lässt einen abwertenden Kommentar über eine bestimmte Personengruppe fallen. Wie kann ich darauf reagieren, ohne dass unsere enge Beziehung darunter leidet?  

Ich würde versuchen, einen Rahmen abzustecken. Man muss sich immer fragen, wie wichtig mir die Person ist. Bei einem engen Freund, einer engen Freundin kann ich die Beziehung im Gespräch benennen und sagen: „Du, ich teile deine Meinung nicht, und diese Aussage ist nicht tragbar für mich. Aber unsere Freundschaft ist mir sehr wichtig. Daher möchte ich dich gern verstehen. Könntest du mir erklären, wie du auf diese Meinung kommst?“. 

Wenn ich merke, dass ich wütend werde, braucht es für dieses Gespräch vielleicht einen anderen Rahmen oder Zeitpunkt. Dann verabrede ich mich lieber, statt das zwischen Tür und Angel zu diskutieren. Dann würde ich beispielsweise sagen: „Ich bin gerade so wütend, ich kann jetzt nicht darüber sprechen. Ich würde es aber gerne mit dir klären, können wir das vertagen?“. 

Oder wenn ich merke, dass ich recht haben will, kann ich mich zurücklehnen und mir sagen “Nein, es geht hier nicht darum, recht zu haben". Dann kann ich schauen, warum will ich eigentlich recht haben? Und wie kann ich mich wieder mit meinem Gegenüber verbinden, um die Person nicht zu verlieren? 

Mit Offenheit und Ruhe kann man ganz viel aushalten und hebeln. 

Wäre es auch eine Möglichkeit, dass ich von mir und meinen Erfahrungen erzähle, um mein Gegenüber abzuholen und zu erklären, warum ich anders denke?  

Ja, auf jeden Fall. Viele sagen beim Streitmobil: „Es wird ja immer alles schlimmer“. Dann sage ich: „Ich kann das ehrlich gesagt nicht so feststellen. Ja, es gibt viel Schlimmes, viel bekommen wir natürlich durch die Nachrichten mit.“ Dann erzähle ich oft von mir und wie ich das wahrnehme: „Natürlich muss ich mich informieren, aber ich reduziere Nachrichten. Ich geh lieber raus und tausche mich aus mit Menschen. Ich sehe gerade hier am Streitmobil so viel Unterstützung und Menschlichkeit und ganz viel Freude. Ich kann nicht bestätigen, dass immer alles schlimmer wird“. Als Antwort bekomme ich dann oft zurück: “Oh, denken Sie wirklich?”. Manchmal bedanken sich die Menschen und sagen: „Das ist ja schön, vielleicht habe ich auch einen zu negativen Blick…”.

Meine Erfahrung ist, dass die meisten gar nicht so negativ denken wollen. Sie wollen meist damit ausdrücken, dass sie sich Sorgen um die Zukunft machen. Dann freuen sie sich, wenn da jemand ist, der Hoffnung versprüht. Hoffnung ist auch eine Ressource.

Man muss natürlich dazu sagen, dass es mir sehr gut geht. Ich habe immer etwas zu essen, ich bin gesund und habe keine Schmerzen. Ich kann das aus einer gewissen privilegierten Situation heraus sagen. Trotzdem meine ich das in dem Moment, wo ich es sage.

Dein Streitmobil ist einzigartig. Kannst du dir vorstellen, das Projekt größer aufzuziehen und in anderen Städten anzubieten?

Ja, ich könnte es verbreiten. Aber dann wäre ich nicht mehr selbst auf der Straße unterwegs, dann mache ich nur noch Management, das ist nicht meins. Ich mag Menschen und möchte mit ihnen im Gespräch bleiben. Außerdem will ich weiterhin beim pme Familienservice arbeiten, das liebe ich ja auch.

Vielen Dank für das Interview, liebe Katja!

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Kampagne "Im Gespräch bleiben - Haltung zeigen"

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