„Mama, Papa! Mir ist langweilig!“
Wie häufig haben Sie diesen Satz in der letzten Woche von ihren Kindern gehört? Ein, zwei oder doch schon zehnmal? Bücher, Sport, Tablets und Fernsehen: einige Eltern tun viel dafür, dass ihre Kinder gut unterhalten und gefördert werden. Aber ist das auch wirklich richtig? Was würde passieren, wenn Kinder ab und an mit sich und ihrer Langeweile allein gelassen würden? Wie würde sich das auf ihre Entwicklung auswirken?
Aber was verstehen wir eigentlich unter Langeweile? Der Erziehungsberater Dr. Jan-Uwe Rogge formuliert treffsicher:
Langeweile, das heißt, auf dem Bett zu liegen, an die Decke zu starren, das heißt, gedankenverloren im Sessel zu sitzen, vor sich hin zu träumen, das heißt, Zeit für eigene Ideen zu haben, diese zu vertiefen, Zeiten, in denen nichts, aber rein gar nichts ge- und verplant ist."
Ich erinnere mich sehr gut an meine Kindheit und die Langeweile, die damit einherging. Ich verbrachte gefühlt meine halbe Kindheit damit, die Blumen auf der Tapete in meinem Kinderzimmer anzustarren – manchmal allein, manchmal zusammen mit meinen Freunden. Und die andere Hälfte? Ich bastelte, spielte Buchladen am Bücherregal meiner Eltern, ging raus in die Natur, las viel – Pippi Langstrumpf, meine Heldin aus Kinderbuchtagen ist noch immer meine liebste Literaturfigur. Und das alles ohne Anleitung durch meine Eltern. Die sah ich im Sommer höchstens mal am Abendbrottisch. Heute habe ich manchmal das Gefühl, dass das Leben für uns - die Kinder von damals - schöner und freier war.
Langeweile muss gelernt sein
Der Trend, Kinder mit Musik- und Bewegungsangeboten oder Sprachunterricht zu fördern, hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Der Nachwuchs soll sich nicht alleine beschäftigen müssen. Mit kleinen Kindern spielt man intensiv, besucht Krabbelgruppen, Babyschwimmangebote und geht jeden Tag auf den Spielplatz.
Bei den Kita- und Schulkindern setzt sich das Schema fort: Nach der Schule soll es noch mindestens ein Sport sein – montags Fußball, mittwochs Karate und am Samstag schwimmen, die musikalische Begabung soll ebenso gefördert werden und auch die Muse küsst nicht nur den Begabten, sondern auch den Fleißigen. Ab und zu müssen dann noch der Fernseher oder das Tablet herhalten.
Auch das schlechte Gewissen spielt keine allzu kleine Rolle, wenn die Arbeit - und überhaupt – das Erwachsenenleben dazukommen. Und selbst, wenn es die Kinder häufig selber so möchten, ist es nicht auch ein kritisches Zeichen dieser Zeit, dass Kinder beschäftigt werden sollen? Wovor haben wir Angst? Dass unsere Kinder dem Wettbewerb nicht standhalten können? Dass sie sich zu Tode langweilen oder nur Blödsinn anstellen? Ist aus uns denn nichts geworden, nur weil wir tagelang die Zimmerdecke angestarrt haben?
Laut einer Studie der Bepanthen Kinderförderung in Zusammenarbeit mit der Universität Bielefeld aus dem Jahr 2015 weist jedes sechste Kind und jeder fünfte Jugendliche in Deutschland deutliche Stress-Symptome auf. Die Ursachen liegen in den (zu) hohen Erwartungen der Eltern und den – damit verbundenen - zu kleinen Freiräumen für die eigene Selbstbestimmung. Ist es daher nicht besser, Langeweile auch als Chance zu sehen für das kreative Spiel, die Ausbildung des eigenen Denkens und des eigenen Willens?
Nichts ist wichtiger, als einen freien Geist wachsen zu lassen, um ihn zu formen. Ganz sicher geschieht das nicht, wenn dem Kind überhaupt keine Chance dazu gegeben wird, ihn wachsen zu lassen.
Auch meine Interessen entwickelten sich mit den Jahren weiter: Fotografie, Nähen, Zeichnen und Schreiben. Auch war ich in einem Sportverein ... auf nichts davon haben meine Eltern mich gebracht. Denn ich hatte das Glück, frei entscheiden und mich ausprobieren zu dürfen. War das begünstigt durch die Langeweile, die meine Eltern zuließen? Ich denke: ja!
Spielen ist Kindersache
„Am glücklichsten sind Kinder im eigenverantwortlichen Spiel“, schreibt die US-amerikanische Psychologin Dr. Laura Markham auf ihrer Website ahaparenting.com. „Dabei lernen Kinder, Emotionen und Erlebnisse zu verarbeiten“. Kinder brauchen ihre eigenen Erlebnisse – ob es nun das Bauen mit Bauklötzen ist, um die motorischen und kognitiven Fähigkeiten auszubauen, oder das Spiel mit anderen Kindern, um Interaktion und soziale Fähigkeiten auszubilden oder eben die Kreativität durch Aktivitäten wie basteln oder malen – Kinder müssen erleben, was es heißt etwas selbst zu erschaffen, führt Markham weiter an.
Langeweile unbedingt zulassen
Langeweile fördert diese Kreativität und das selbstbestimmte Spiel. Bei Kindern lässt sich oft beobachten, dass sie nach einer Phase der Langeweile auf großartige Ideen kommen. Viele namhafte Hirnforscher, Erziehungswissenschaftler und Pädagogen haben über das Thema kindliche Langeweile geschrieben. Eine zentrale Forderung darin ist stets: Lassen Sie Langeweile zu!
Der bekannte Erziehungswissenschaftler Peter Struck wird in einem 2006 erschienen Artikel zitiert:
"Kinder müssen lernen, mit Leerzeiten umzugehen und sich allein zu beschäftigen. Wenn die Eltern immer einspringen, wird das nie passieren."
Auch Familientherapeut Jesper Juul konstatiert in einem Interview, dass es Kindern häufig langweilig wird, wenn die externe Stimulation durch Computerspiele, DVD oder Fernsehen fehle. Viele Eltern fühlen sich förmlich genötigt, diese inspirierenden Aktivitäten zu Hause fortzusetzen. Den Druck erzeugen dabei eigentlich die Kinder, denn sie wurden schlichtweg "stimulationssüchtig" gemacht. Es ist aber unabdingbar, Inseln für die Kinder zu schaffen, an denen sie einfach nur gelangweilte Kinder sein dürfen – ganz ohne Berieselung von außen.
Der Autor und Erziehungsberater Jan-Uwe Rogge sagt dazu:
"Fühlt ein Kind sich in Beziehungen aufgehoben, dann ist Langeweile für die Persönlichkeitsentwicklung ausgesprochen wichtig. Sie stellt eine Zeit dar, die nur dem Kind gehört."
Und auch die Psychologin und Mutter Dr. Vanessa Lapointe schreibt auf ihrem Blog in der Huffington Post: “Kinder müssen in ihrer eigenen Langeweile versinken, damit die Welt um sie herum so still wird, dass sie sich selbst hören können“.
Es ist also nichts Verwerfliches daran, die Langeweile zuzulassen oder gar seinen Kindern beizubringen. Nein, es ist sogar förderlich. Denken Sie daran, wenn ihr Kind das nächste Mal nichts mit seiner Zeit anzufangen weiß und lehnen sie sich entspannt zurück.
pme Lernwelten – Ihr Träger betrieblicher Kindertagesstätten
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Weitere Quellen:
http://www.sueddeutsche.de/leben/die-muehen-der-erziehung-laaaaangweilig-1.2660964
http://www.huffingtonpost.de/2016/07/05/kinder-hauufig-langweilen_n_10816324.html