Dr. Eckart von Hirschhausen: Über hart gekochte Gehirne
Er ist wohl der populärste Arzt Deutschlands. Bekannt geworden ist Dr. Eckart von Hirschhausen als Moderator unzähliger TV-Wissenschaftssendungen, als Humorist und Buchautor. Als passionierter Umweltschützer setzt er sich leidenschaftlich für eine saubere Umwelt ein. Sein Credo: nur auf einem gesunden Planeten können wir Menschen ein gesundes Leben führen. Am 10. Oktober ist er Top-Speaker beim Health Day 2024. Wir sprechen mit ihm über Extremsituationen, übers Lachen und ein gesundes Altern.
Gesund alt zu werden ist das erklärte Ziel vieler Menschen. Welche Faktoren helfen Menschen, ein langes und erfülltes Leben zu führen?
Dr. Eckart von Hirschhausen: Der beste Trick, sein Leben zu verlängern, klingt einfacher, als es ist: indem man alles weglässt, was es verkürzt! In meinem Liveprogramm ‚Endlich!’ bringe ich es ganz einfach auf den Punkt: 10 bis 15 Jahre unseres Lebens hängen am Lebensstil. Es gibt keine Tablette, keine Operation und erst recht keine Creme, die uns besser schützt als fünf ganz einfache Dinge des Alltags: nicht rauchen, bewegen, Gemüse, erwachsen werden und Kind bleiben. Gesundheit beginnt nicht mit einer OP oder einer Tablette. Sie beginnt mit der Luft, die wir atmen, dem Wasser, das wir trinken, den Pflanzen, die wir essen, mit erträglichen Temperaturen und einem friedlichen Miteinander.
Der Mai ist Mental Health Awareness Month. Inwiefern kann Humor eine Rolle bei der Bewältigung von mentalen Gesundheitsproblemen spielen?
Humor tut gut. Lachen ist Medizin. Dass weiß nicht nur der Volksmund, sondern inzwischen auch die Wissenschaft. Insbesondere die positive Psychologie hat in den letzten Jahren viel dazu geforscht. Wir können uns nicht selbst kitzeln. Humor passiert zwischen Menschen, und mit diesen betroffenen Menschen habe ich gesprochen. Zum Thema “Seelische Gesundheit” haben wir im eigenen Studio eine YouTube-Serie mit dem Titel „Alle verrückt?“ produziert, die am 1. Mai auf meinem Kanal erscheinen wird und sich mit acht verschiedenen Diagnosen auseinandersetzt. Auf Augenhöhe mit den Betroffenen, aber auch mit Möglichkeit zum Schmunzeln, um das Thema nahbar zu machen.
Der diesjährige pme Health Day am 10. Oktober widmet sich dem Thema „Aus Extremsituationen für die alltägliche Gesundheit lernen“. Wie kann man mit persönlichen Herausforderungen umgehen, um mental stark zu bleiben?
Die Klimakrise macht auch unsere Seele krank. Wir haben in Deutschland eine Million mehr Menschen mit psychischen Erkrankungen durch die Folgen von Hitze und Feinstaub, den Traumatisierungen durch die Extremwetter und den Verlust von Heimat. Was immer „die Seele“ ist, eins ist klar: Ein funktionierendes Hirn hilft. Und Selbstwirksamkeit ist hier das Zauberwort. Aktiv werden ist das beste Mittel gegen die Hilflosigkeit. Jeder an seiner Stelle, mit seinen Mitteln. Verbunden statt allein.
Wir können uns „anstecken“ lassen, mit Ideen, mit Leidenschaft, mit Lachen. Karl Valentin hat das schön ausgedrückt: Wenn es regnet, freue ich mich, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch. Humorlosigkeit wird die Welt nicht retten. Für mein Buch „Mensch, Erde“ habe ich daher eine Challenge entwickelt: Das Wichtigste, was ein Einzelner tun kann, ist, kein Einzelner zu bleiben! Jeder kennt wen, der wen kennt, der mehr bewegen kann als du.
Mit ihrer Stiftung 'Gesunde Erde – Gesunde Menschen' setzen Sie sich mit dem engen Zusammenhang zwischen der Gesundheit unseres Planeten und der Gesundheit der Menschen auseinander. Was ist für Sie persönlich das ultimative Ziel, das Sie durch Ihr Engagement erreichen möchten?
„One Health“ bedeutet, die Gesundheit von Menschen, Tier und Umwelt gemeinsam zu begreifen. Es geht erst allen besser, wenn es allen besser geht.
Mit der Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen möchte ich dazu beitragen, dass die notwendige Transformation von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft neuen Schwung bekommt. Dazu brauchen wir einen frischen „Spirit“: überparteilich, kooperativ, generationsübergreifend und mit ansteckend guter Laune. Mein Team und ich arbeiten gerade unter Hochdruck an vielen Hebeln und mobilisieren die Ärzteschaft und die Pflege, zu dem Thema Stellung zu beziehen, als zentrale Multiplikatoren in die Mitte der Gesellschaft. Wir arbeiten mit großen Stiftungen und Netzwerken zusammen, mit kirchlichen Organisationen, der Weltklimakonferenz und sind beim World Health Summit präsent. Ziel all unserer Aktivitäten ist es, dass der deutlichen Mehrheit unserer Gesellschaft bewusst wird: Gesunde Menschen gibt es nur auf einem gesunden Planeten. Und dafür brauchen wir radikale Änderungen in der Art und Weise, um zukunftsfähig und enkeltauglich zu leben.
Welche Hindernisse begegnen Ihnen immer wieder in der Kommunikation dieses wichtigen Themas?
Die Fakten sind seit 50 Jahren klar. Und nur mehr Wissenschaft zu kommunizieren, führt nachweislich nicht zu einem vernünftigeren Handeln. Wir brauchen also eine Kommunikation, die Hirn und Herz verbindet. Und genau das mache ich, um die Mitte der Gesellschaft zu erreichen und für diese Mammutaufgabe zu begeistern. Das geht bei den Begriffen los: Wir müssen nicht „das Klima“, „die Erde“ oder „die Eisbären“ retten – sondern uns! Ich bringe immer gerne das Beispiel mit dem Ei, um das Problem der Irreversibilität auf den Punkt zu bringen:
"Wenn Du ein rohes Ei in warmes Wasser tust, reichen über 45 Grad, dann wird es hart und zwar irreversibel." Dr. Eckart von Hirschhausen
Wenn Du ein rohes Ei in warmes Wasser tust, reichen über 45 Grad, dann wird es hart und zwar irreversibel. Auch wenn das Wasser wieder abkühlt, wird das Ei nicht mehr weich. Aus einem gekochten Ei wird auch nie mehr ein Küken. Es gibt kein Zurück mehr. Die Chance auf Leben ist für immer vertan. Woraus besteht aber ein Ei? Aus Wasser, aus Fett und aus Eiweiß. Woraus besteht unser Hirn? Aus Wasser, aus Fett und aus Eiweiß. Wir haben genau die gleichen Bausteine. Und da merke ich immer, wie bei den Leuten plötzlich so ein Groschen fällt. Klar müssen wir Emissionen reduzieren, aber das, was jetzt ansteht, ist, sich bewusst zu machen: Die nächsten Sommer werden alle heißer und heißer und heißer werden. Und deswegen ist es so wichtig, die Idee von „Es gibt Dinge, die gehören uns allen, und wenn die kaputt sind, dann leiden wir alle“ nach vorn zu stellen.
Woran erkennen Sie, dass Ihre Arbeit bereits Erfolge erzielt?
Es gibt einiges, was mir Hoffnung macht, die nächste Generation zum Beispiel. Sie denkt viele Themen selbstverständlicher und globaler und hat mit „Fridays for Future“ richtig etwas losgetreten. Und das nicht nur in der Politik, sondern auch im privaten Umfeld: Die Diskussionen zu Hause am Küchentisch sind ganz anders geworden, denn die junge Generation fordert regelrecht ein, dass wir Boomer – und da gehöre ich ja auch dazu – jetzt auch mit anpacken und uns einsetzen. In den letzten drei Jahren ist viel mehr passiert als in den letzten 30 Jahren.
Inwieweit kann Künstliche Intelligenz helfen, die großen Gesundheitsfragen unserer Zeit anzugehen und sowohl nachhaltige Lösungen für die Erde als auch für das menschliche Wohlbefinden zu finden?
Auf meiner Reise zur Dokumentation „Medizin von morgen“ (ARD Mediathek) habe ich direkte Berührungspunkte mit Künstlicher Intelligenz erlebt. Bei einer seltenen Erkrankung, bei einer seltsam unregelmäßigen Hautveränderung und dem Verdacht auf schwarzen Hautkrebs, bei Routine-Röntgenbildern oder sogar in der Früherkennung einer Blutvergiftung aus den Labordaten ist die KI heute schon sehr gut, sogar präziser als ein Mensch. Kein Wunder, denn Computer werden nicht müde, lernen ständig dazu, haben ein praktisch unendliches Gedächtnis, um ältere Daten mit den aktuellen zu vergleichen, und lassen sich nicht so leicht ablenken wie Menschen.
Worauf ich in Zukunft auf gar keinen Fall verzichten will, ist aber eine humane Humanmedizin. Computer haben kein Mitgefühl, keine Sensibilität im Umgang mit schwierigen Diagnosen und Lebensentscheidungen und keinen Humor. Als der Avatar sagte „Es tut mir leid, dass sie diese Beschwerden haben.“, merkte ich, wie ich sauer wurde, weil die Maschine mir Gefühle vortäuschte, die sie gar nicht hat. Dafür brauchen wir heute und erst recht in Zukunft engagierte Menschen in der Medizin, in der Pflege und in allen sozialen Berufen. Es fehlen bereits in den nächsten zehn Jahren bei jeder dritten Stelle im Gesundheitswesen die Fachkräfte. Das ist das Kernproblem – und dafür brauchen wir Wertschätzung, anständige Bezahlung, Vereinbarkeit mit Familie und Aufstiegschancen – also all das, was einen Computer nicht interessiert – aber Menschen!
Von Digitalisierung bis Klimakrise: Welche Schlüsselerkenntnisse halten Sie für entscheidend, damit die junge Generation ein gesundes und erfülltes Leben führen kann?
Niemand muss alles richtig machen, kann man gar nicht. Dieser Blick auf den persönlichen Fußabdruck und moralischer Druck ist Quatsch. Wir werden die Welt nicht mit Bambuszahnbürste und Bahnfahren alleine retten. Klar ist es wichtig, Rad statt Auto, Zug statt Flugzeug und Gemüse statt Fleisch. Noch wichtiger: Geld fair anlegen, Gebäude energetisch bauen und sanieren und sich in die Politik einmischen. Die Mehrheit weiß oft nicht, dass sie die Mehrheit ist! Die großen Hebel sind die politischen Rahmenbedingungen. Da hat jeder einen „Handabdruck“! Konkret bei der Europawahl. Im Juni wird gewählt, und die wichtigsten positiven Projekte der EU wie der Green Deal, die Wiederherstellung von Mooren und Natur, ein wirksamer Emissionshandel – all das steht auf dem Spiel, wenn die Rechtspopulisten aus Deutschland und anderen Ländern das Parlament lahmlegen oder zerstören, wie sie es angekündigt haben.
Deshalb meine große Bitte: alle wählen gehen, vereint für die Demokratie! Geht als ganze Familie abstimmen für unsere Zukunft, die Oma mit der Enkelin, die mit 16 erstmalig wählen kann. Und alle dazwischen sowieso. Keine Stimme verschenken. Je mehr Menschen eine vernünftige demokratische Wahl treffen, desto kleiner wird der Anteil der erklärten Demokratiefeinde. Wir haben eine Zukunft in Europa oder keine. Bitte schlau machen. Und Mund aufmachen. Gerne auch in dieser Reihenfolge (lacht).
Interview: Simone Bohny, Christin Müller, Michèle Penz