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Junge Frau hat Muster von KI-Technologie im Gesicht
Psyche

Mit Toten sprechen: Digital unsterblich durch KI

Mit der verstorbenen Freundin digital Kaffee trinken oder sich vom toten Opa Gute-Nacht-Geschichten vorlesen lassen: Wer heute stirbt, muss noch lange nicht tot sein. In Form von digitalen Avataren verspricht die “Digital Afterlife Industry” ewiges Leben. Aber können wir noch Abschied nehmen, wenn die Verbindung zu den Verstorbenen nicht abbricht? Verändert Künstliche Intelligenz die Art, wie wir trauern?

„Hey, wie geht’s dir heute? Hattest du einen guten Start in den Tag, Schatz?“ Stellen Sie sich vor, ihr Handy klingelt und der Chatbot Ihrer verstorbenen Mutter schreibt Ihnen Nachrichten, ruft sie sogar ab und zu an, gibt Ratschläge, wenn es Ihnen nicht gut geht.

Was wie Science-Fiction klingt, ist längst Realität. Nach dem Tod weiterhin mit geliebten Menschen sprechen: Die „Digital Life Industry“ macht es möglich. Start-ups versprechen die digitale Unsterblichkeit, indem sie anbieten, die Persönlichkeit von Menschen in Form von Chatbots und Avataren zu klonen. Man muss nur eine Künstlicher Intelligenz (KI) mit allem füttern, was die Persönlichkeit spiegelt und in Form von Daten vorhanden ist: Nachrichten, Fotos, Videos, Sprachnachrichten, Musik, Bewegungsprofile, Kalendereinträge.

Mutter trifft verstorbene Tochter wieder

Wie weit die Technik ist, konnten Zuschauer:innen in einer koreanischen TV-Show erleben. Im Februar 2020 sahen 1,8 Millionen Menschen auf YouTube das Video einer südkoreanischen Mutter, die mithilfe von KI ihre verstorbene Tochter in der virtuellen Realität wiedertraf. „Mama, wo warst du? Hast du an mich gedacht?“ Mit diesen Worten läuft der Avatar der siebenjährigen Tochter Nayeon auf die Mutter in der virtuellen Welt zu. Später verabschiedet sich der Avatar und stirbt symbolisch noch einmal.
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Digital Afterlife Industrie boomt

Avatare wie der von Nayeon sind komplex programmierte Doppelgänger. Acht Monate lang haben VR-Expert:innen des Unternehmens Vive Studios aus Seoul an der digitalen Nayeon gearbeitet. Dazu nutzten sie Fotos, Video- und Tonaufnahmen, um Körper, Bewegung und Persönlichkeit des Mädchens so genau wie möglich zu imitieren.

Weitaus weniger aufwändige Avatare existieren bereits auf dem freien Markt. Mittlerweile hat sich eine ganze "Digital Afterlife Industrie" gebildet – auch "Grief Tech" genannt. Der Markt wächst. Start-ups schießen wie Pilze aus dem Boden und versprechen, authentische digitale Abbilder von Personen zu erstellen.

“We Never Have to Say Goodbye to those we love”: Mit diesen Worten begrüßt das US-amerikanische Start-up YOV (You, Only Virtual) seine Besucher:innen auf der Website. Das Unternehmen verspricht 3D-Versionen von geliebten Personen zu erzeugen – und zwar so real, dass die Interaktionen mit dem Avatar sich echt anfühlen sollen und der ursprünglichen Beziehung treu bleiben. Je mehr Daten, desto besser soll die KI Menschen imitieren können. Doch es gibt auch einfachere Versionen von Chatbots, mit denen man lediglich schreiben und sprechen kann. Bei der App Here after aus den USA reicht es laut des Unternehmens, einige Fragen zu beantworten und Audiofiles hochzuladen, um die Stimme und Schreibweise des Verstorbenen zu imitieren – fertig ist der personalisierte Chatbot.


​​​​​​​Einen interaktiven Avatar können Nutzer:innen auf der Videoplattform StoryFile erstellen. (Fotoquelle: StoryFile)

Digitale Klone statt Seele im Jenseits

Vor allem in den USA, in Asien und Großbritannien wächst die Zahl der Menschen, die ihr virtuelles „Ich“ bereits vor ihrem Tod planen. Die Filmemacher Moritz Riesewieck und Hans Block erklären das Phänomen in ihrer Dokumentation „Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit“ (2024) damit, dass immer weniger Menschen in Westeuropa an Gott und das ewige Leben im Jenseits glauben. In ihrer Doku begleiten sie die Pioniere und ersten User:innen einer Technologie, die dem Tod mittels digitaler Avatare ein Schnippchen schlagen wollen.
 

"Noch ist es nicht gelungen, den Sinnverlust auszugleichen, der für Milliarden von Menschen mit der Abwendung von der Religion entstanden ist. Es klafft eine gewaltige Lücke, was auch den Technologie-Unternehmen nicht entgangen ist, die die Leerstelle als Chance für die nächste große Geschäftsidee begreifen."​​​​​​​1
Moritz Riesewieck, Hans Block, Filmemacher und Autoren ("Die digitale Seele")


​​​​​​​Seit ihrem Anbeginn träumt die Menschheit davon, dem Tod zu entkommen. Wir versuchen vor ihm wegzulaufen, indem wir uns Botox oder Filler spritzen lassen, um den Zahn der Zeit zu kaschieren; oder optimieren unseren Lifestyle durch Sport, gesundes Essen, viel Schlaf und Vitaminpillen. Das wohl bekannteste Beispiel dürfte der Milliardär Bryan Johnson sein, der täglich über 100 Pillen schluckt, Diäten einhält und alles daransetzt, sein biologisches Alter zu reduzieren. Die Ergebnisse protokolliert er minutiös auf seiner Website, die die Headline trägt: Don't Die.​​​​​​​

Mit einer digitalen Kopie könnte also jeder Einzelne von uns die drohende Endlichkeit umgehen, ganz ohne Sport und Pillen. Wir müssen nicht mehr sterben, sondern können wiederauferstehen in einer anderen Welt, in einer anderen Form: So das Versprechen der Grief Tech-Firmen. Aber was bedeutet das für die Hinterbliebenen, wenn wir jederzeit und überall mit den Avataren geliebter Menschen in Kontakt treten können? Verändert das die Art und Weise wie wir trauern?
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KI hilfreich bei der Trauerbewältigung?

Die koreanische Mutter sagte nach der Begegnung mit der virtuellen Nayeon, dass ihr die Erfahrung im Trauerprozess geholfen habe. Da Nayeon sehr plötzlich an einer seltenen Erbkrankheit verstarb, hätte ihr das Experiment es möglich gemacht, sich von ihrer Tochter zu verabschieden. Es könne aber tatsächlich sinnvoll sein, solche KI-Anwendungen in therapeutischer Weise einzusetzen, sagt Philosoph Martin Booms von der Alanus-Hochschule.
 

"Wir müssen uns nur ein bisschen hüten zu glauben, wir könnten jetzt das, was eben auch zum Leben gehört, das Abschiednehmen, die Trauer, durch solche digitalen Technologien wegbekommen."​​​​​​​2
Martin Booms, Philosoph, Alanus-Hochschule


Einen Abschluss finden, ein letztes Gespräch führen und vielleicht noch etwas klären, das zu Lebzeiten nicht mehr besprochen werden konnte: Das erhoffen sich die Trauerenden durch die digitalen Kopien der Verstorbenen. So auch die Protagonist:innen der Doku „Eternal You“. Doch richtig Frieden hätten die wenigsten finden können, erklärt Filmregisseur Moritz Riesewieck“3.​​​​​​ ​​​​​​​In der Doku chattet eine Userin mithilfe der App Here after mit dem Avatar ihres verstorbenen Freundes. Das Experiment verläuft anders als erwartet. Der Avatar schreibt, dass er in der Hölle ist und sich sehr allein fühlt. Das sind wenig beruhigende Worte, die den Trauerprozess der Nutzerin wohl kaum unterstützen dürften. Wer die Apps bislang nutzt, tut es auf eigene Gefahr. Verantwortung für negative Erfahrungen übernehmen die Entwickler:innen keine.

Falsche Erinnungen durch Avatare

Eine systematische Beschäftigung oder Forschungsperspektive mit der Frage, was diese Technik für Konsequenzen haben könnte, gibt es bislang kaum. Forscher:innen, Psycholog:innen und Vertreter:innen der Kirche tasten sich erst allmählich an die Thematik und ihre möglichen Chancen und Risiken ran. So auch Eldercare-Experte Jürgen Griesbeck. Durch seine Arbeit als Ausbilder für Seniorenbetreuer:innen und Coach hat er fast täglich mit Menschen zu tun, die trauern. Er steht der Digital Afterlife-Industrie kritisch gegenüber „Der Tod ist die größte Restriktion, die Menschen erleben können. Die Tatsache, dass ich weiß, dass ich nur noch so und so viele Jahre habe, zwingt mich dazu, darüber nachzudenken: Wie gehe ich mit meiner Zeit um? Wie verbringe ich die Zeit mit den Menschen, die mir wichtig sind? Wenn ich weiß, ich kann mir eine geliebte Person einfach über eine KI wieder herholen, warum sollte ich akzeptieren, dass jetzt Schluss ist und es nicht weitergeht?“ angelegt. Endlichkeit soll hier nicht sein.

Hinzu komme laut Griesbeck die Gefahr, dass die Erinnerungen an die verstorbene Person verfälscht werden können. „Bei der Trauerarbeit versucht man die verstorbene Person im Gedächtnis zu halten mit Erinnerungen daran, was das Besondere an der Person war. So erhalte ich das am Leben, was ich mit der verstorbenen Person in Verbindung bringe."
 

"Das Medienprodukt Avatar hat aber nur ein ausgewähltes Set an Erinnerungen. Das birgt die Gefahr, dass meine echten Erinnerungen überschrieben werden, weil mir der Avatar ständig dasselbe erzählt und eine hohe Suggestivkraft hat.“
Jürgen Griesbeck, Eldercare-Experte, pme Familienservice


Daneben warnen Psycholog:innen davor, dass Hinterbliebene in einer Art Dauerschleife gefangen bleiben könnten, indem sie wiederholt Kontakt zu den Avataren suchen. Es müsste also klar sein, dass diese Erfahrung einmalig sei, damit der Trauerprozess abgeschlossen werden kann und User:innen sich nicht in einer endlosen Kommunikationsschleife mit „Toten“ verlieren.

Die Apps haben aber alle etwas gemeinsam: Sie sind nicht auf eine einmalige Erfahrung mit dem KI-Avatar angelegt. Endlichkeit soll hier nicht sein. Gerade in Zeiten, wo die Trauer um den Verstorbenen noch sehr groß ist, sehen Psycholog:innen darin eine Gefahr: Dass es schwer fällt anzuerkennen, dass ein geliebter Mensch nicht mehr lebt. Der Bezug zur Realität könnte so mehr und mehr verschwimmen.

Avatare im Repertoire der Trauerarbeit

Bedenken hin oder her: Wir werden in Zukunft in unterschiedlichen Lebensbereichen immer öfter mit Avataren und Chatbots in Kontakt treten. Vielleicht werden viele von uns in den nächsten fünf Jahren einen eigenen Avatar haben. Nicht unbedingt einen Avatar, der eine Replika unserer eigenen Person ist. Aber eine Art Sparring Partner, der uns beispielsweise an Termine erinnert oder daran unsere Vitamintabletten zu nehmen. ​​​​​​​Dass Avatare dann auch im Repertoire der Trauerarbeit angeboten werden, scheint nur eine Frage der Zeit.

"So wie wir auch ans Grab gehen und mit den Verstorbenen sprechen, mit dem Grabstein sprechen, sprechen wir vielleicht in Zukunft mit einem Avatar, der dann sogar noch antwortet mit der eigenen Stimme der verstorbenen Person. Das muss jeder und jede für sich entscheiden."​​​​​​​4
Prof. ​​​​​​​Jessica Heesen, Leiterin Medienethik, Technikphilosophie und KI, Universität Tübingen


​​​​​​​Vermutlich wird ein Avatar-Abbild der eigenen oder einer verstorbenen Person nicht für jeden etwas sein. Einige werden die Möglichkeiten der KI nutzen, andere wiederum nicht. Dennoch sollte sich jede und jeder von uns ein paar Fragen stellen: Möchte ich, dass meine Verwandten einen Avatar von mir erstellen lassen, wenn ich tot bin? Falls nicht, sollte ich das in meinem Testament festhalten? Falls doch: Wer ist dann befugt über meinen Avatar zu entscheiden? Wer hat die Hoheit über meine Daten? Und was passiert, wenn Avatare im Abo angeboten werden und uns drohen ein zweites Mal zu „sterben“, wenn wir die Gebühren nicht bezahlen?
​​​​​​​Und vielleicht auch: Wie möchte ich, dass man sich an mich erinnert, wenn ich einmal nicht mehr bin?

 

Quellen:

[1] Moritz Riesewieck, Hans Block: Die digitale Seele. Unsterblich werden im Zeitalter Künstlicher Intelligenz. München 2020. Seite 13.

[2] https://www1.wdr.de/nachrichten/ki-avatare-tote-eternal-you-100.html 

[3] https://www.swr.de/swrkultur/film-und-serie/durch-ki-mit-toten-sprechen-doku-eternal-you-von-moritz-riesewieck-100.html 

[4] https://www.tagesschau.de/wissen/technologie/digital-afterlife-100.html​​​​​​​

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