„Übriggeblieben ist die Narbe am Kopf“
Im Rahmen der Kampagne „Unaussprechlich? Krebs im Arbeitsalltag“ spricht pme-Mitarbeiter Max über seine Krebserkrankung mit 13 Jahren.
„Ich bin Max, 27 Jahre alt. Als ich 13 war, hatte ich einen Knochentumor in der Schädeldecke“. Das ist die Geschichte unseres Mitarbeiters Max. Im Interview erzählt er, wie er seine Krebserkrankung erlebt hat, was ihm in dieser Zeit geholfen hat und wie er mit Kita-Kindern sowie Erwachsenen über die noch immer sichtbaren Folgen der Krankheit spricht.
Lieber Max, wie war es, als du die Diagnose bekommen hast?
Max: Ich war sehr oft krank, hatte immer wieder Magen-Darm und Fieber. Außerdem habe ich doppelt gesehen, weil der Tumor auf meinen Sehnerv gedrückt hat. Da meine Mama schon einen Hirntumor gehabt hatte, hat der Arzt gesagt „Ich sehe nichts, aber wir machen trotzdem ein MRT. Dabei zeigte sich ein tennisballgroßer Tumor im Kopf. Auf Anraten des Onkologen meiner Mutter kam ich in die Kinderonkologie der Uniklinik Münster.
Zwei Tage später wurde der Tumor entfernt. Ich bin dann in verschiedene Studien gekommen, bekam Chemotherapie und Bestrahlung, weitere Operationen und schließlich wurde mir der betroffene Teil der Schädeldecke entfernt. Das sollte so bleiben, bis ich 18 und ausgewachsen bin. Zum Glück bin ich dann in eine neue Studie gekommen und bekam ein modernes Material aus Kunststoff in den Kopf, das mitgewachsen ist. Die Behandlung hat anderthalb Jahren gedauert, seitdem bin ich viel in Nachsorge.
Wie ging es dir – seelisch und körperlich?
Ich kann mich nicht mehr richtig an den körperlichen und seelischen Schmerz erinnern. Aber mir war immer klar, dass ich wieder gesund werde. Ich hatte das Positivbeispiel meiner Mutter, sie hatte einen Gehirntumor, als ich sieben war. Die Chemotherapie war allerdings sehr schlimm, ich konnte kaum etwas essen und hatte diese ganzen Nebenwirkungen.
Aber im Großen und Ganzen vergisst man die schlimmen Phasen und ich glaube, dass ich das ziemlich gut verarbeitet habe. Ich wollte schnell wieder in den Alltag zurück, ich habe das nicht lange mit mir mitgeschleppt.
Wie ist es dir gelungen, wieder in das das normale Leben einzusteigen?
Am Anfang war es schwer. Ich habe immer Leistungstanz gemacht und war auch auf Turnieren. Nach der Behandlung war ich körperlich nicht mehr so leistungsfähig wie früher und konnte auch in der Schule nicht sofort wieder mithalten.
In der Schule habe ich eine Perücke getragen, weil ich so aussehen wollte wie alle anderen. Irgendwann merkte ich, dass ich das nicht mein Leben lang machen will. Mit dem Start an der Uni habe ich die Perücke weggelassen, hier kannte mich keiner und ich konnte neu anfangen.
Was ist geblieben von dem, was damals passiert ist?
Unsere Familie hat das sehr zusammengeschweißt. Andere Familien zerbrechen vielleicht, wenn ein Kind schwer krank ist. Wir haben da erst richtig zusammengehalten, das merke ich heute noch. Natürlich habe ich die Lebenserfahrung mitgenommen. Und ich glaube, einen gewissen Grad Selbstreflektion hat es mir gegeben, zu wissen, was im Leben wichtig ist und was ich nicht möchte.
Äußerlich ist die Narbe auf dem Kopf übrig. Früher hat mir das Probleme gemacht, inzwischen geht es mir damit sehr gut. Ich bin durch die Arbeit als Pädagoge tagtäglich damit konfrontiert, weil die Kinder fragen: „Was hast du da am Kopf? Was ist das für eine Narbe? Warum hast du keine Haare?“
War das Thema Krebs zu einer Zeit deines Lebens für dich unaussprechlich?
Vor allem in meiner Jugend war das Thema für mich unaussprechlich. Ich wollte feiern, Sport machen und möglichst wenig darauf reduziert werden. Jetzt finde ich, es soll angesprochen werden. Das ist ein Teil meiner Identität, das hat mich und meine Familie geprägt und mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Ich habe gemerkt: Je offener ich damit umgehe, desto mehr kann ich über mich erzählen und desto mehr wissen die Leute, wer ich bin. In meiner pädagogischen Arbeit ist es fast täglich Thema, weil die Kinder einfach drauflos fragen.
Warum bist du Pädagoge geworden?
Mein ganzes Leben war sozial geprägt. Durch meine Krankheit und meine Familie habe ich erlebt, wie wichtig die sozialen Institutionen für ein gelingendes Leben sind. Dann war ich auf einer Waldorfschule, die sehr zum Sozialen geprägt ist. Außerdem ist meine Mama Altenpflegerin, meine große Schwester Sozialarbeiterin. Ich bin schon durch meine Erziehung ein bisschen dahingetrieben worden, außerdem umgebe ich mich gerne mit Menschen und bin für andere da.
War deine Erkrankung bei Bewerbungen ein Thema?
Wenn man als Kind als Krebs an Krebs erkrankt, bekommt man immer einen Behindertenausweis. Das hilft bei der Einstellung, weil Menschen mit Behinderung bevorzugt werden. Aber sonst war das kein Thema. Ich glaube, der soziale Bereich macht es mir sehr einfach, weil hier viele sowieso offen und empathisch sind.
Wie sprichst du mit den Kindern über deine Erkrankung?
Bei Kindern sage ich nicht „Ich hatte Krebs“, sondern umschreibe das. Ich sage, dass ich als Kind mal schlimm krank war, aber dank der Ärzte schnell wieder gesund geworden bin. Oft sage ich noch, dass ich ein Medikament bekommen habe, von dem mir die Haare ausgefallen und nicht mehr wiedergekommen sind. Was aber nicht schlimm ist, weil ich ja jetzt wieder gesund bin.
Kinder fragen vielleicht auch nur „Warum hast du keine Haare?“. Und da sage ich manchmal einfach „Das ist meine Frisur. So wie du lange, blonde Haare hast, habe ich eben keine Haare“. Ich spreche nicht immer meine Krankheit an, das mache ich von der sozio-emotionalen und kognitiven Entwicklung der Kinder abhängig.
Was würdest du dir wünschen, wie Erwachsene mit dir umgehen?
Am meisten hilft es mir, einfach darüber zu sprechen. Ich bin ein offenes Buch, ich rede gerne darüber. Ich würde mir wünschen, dass andere mit viel Empathie und Sensibilität fragen, wenn sie was interessiert. Wenn zum Beispiel mein Arbeitgeber nicht offen fragen würde, müsste ich mir immer was ausdenken. Etwa, warum ich das fünfte Mal zum Facharzt gehen muss. Und deswegen ist Offenheit das Allerwichtigste. Es wäre sehr viel einfacher für mich, wenn Erwachsene genauso unbedarft wie Kinder auf mich zugehen würden.
Angenommen, eine Kollegin oder ein Kollege bekommt eine Krebsdiagnose: Wie fängt man die Person am besten auf?
Ich würde allen ans Herz legen, dass Gesundheit das wichtigste Gut ist, und dass man auf sich hören und für sich einstehen muss. Wenn du da nicht mit offenen Karten spielst, können die anderen nicht wissen, was dich umgibt. Das Wichtigste ist, dass man offen darüber spricht, seine Führungskraft anspricht, seine Kollegen anspricht und sagt, was einen gerade umtreibt.
Mit wem kannst du am besten über Krebs sprechen?
Bei mir sind es die engsten Bezugspersonen meiner Familie. Die sind den Weg mit mir gegangen und mit mir daran gewachsen. Sie kennen alle Facetten, wissen, wie ich damals war, wie ich heute bin. Meine Eltern sind die besten Berater, die ich haben kann.
Was wünscht du dir, wie soll über Krebs gesprochen werden?
Ich finde, dass Krankheiten, egal ob es mentale oder physische Krankheiten sind, mehr Raum in der Gesellschaft einnehmen sollten. Denn dann sind die Ängste, darüber zu reden, wenn man betroffen ist oder Angehörige betroffen sind, nicht mehr so groß.
Alle Infos zur Kampagne "Unaussprechlich? Krebs im Arbeitsalltag"