Frau Memel, Sie kommen ursprünglich aus der Sozialpädagogik. Was hat Sie dazu bewogen, diesen Karriereweg einzuschlagen?
Ricarda Memel: Mein Weg hat mich von einer klassischen Ausbildung zur Erzieherin über eine Zusatzausbildung zur Erlebnispädagogin in die Sozialpädagogik geführt. Auf diesem Weg habe ich viele interessante und inspirierende Menschen kennengelernt, die in den Bereichen Bildung, Personalentwicklung oder Organisationsentwicklung tätig waren und meinen Werdegang beeinflusst haben. Der Mensch stand also schon früh im Mittelpunkt meines Interesses.
Ein weiterer Punkt war, dass ich im sozialen Bereich die Möglichkeit sah, den Menschen Themen und Bereiche zugänglich zu machen, die für sie im Moment nicht zugänglich sind.
„Empowerment“ ist für mich das Wort, das mir dabei in den Kopf kommt. Das ist für mich etwas Aktives, an dem alle mitwirken müssen und ein Ziel erreichen wollen, eine gemeinsame Idee haben, wohin die Reise gehen soll.
Welche Hürden haben Sie als Frau auf Ihrem Weg zur Führungskraft erlebt, und wie haben Sie diese Hürden überwunden?
Spontan sage ich: keine, die nicht andere Menschen, egal ob Frau oder Mann, auch hatten.
Grundsätzlich bin ich mit der Haltung aufgewachsen: Wer Einfluss hat, kann mehr bewirken und mehr in Bewegung setzen. Mehr Einfluss wurde immer mit einem „höheren“ Status gleichgesetzt. Aus dieser Sozialisation heraus war es mein Antrieb, Dinge selbst gestalten und Entscheidungen möglichst eigenständig treffen zu können. Auch hier denke ich wieder an „Empowerment“, lieber als an den Begriff „Macht“, der im Deutschen gerne verwendet wird. Das Geschlecht wurde in meiner Erinnerung dabei nie erwähnt, im Sinne von, dass das nur Männer dürften.
Ich persönlich habe nie darüber nachgedacht, etwas als Frau nicht zu dürfen oder mich von meinem Vorhaben abbringen oder irritieren zu lassen. Ich wollte etwas bewegen. Das war mein Ziel, und darauf habe ich immer hingearbeitet.
Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben? Ist er weiblich?
Ich treffe Entscheidungen mit Bauch und Kopf, manche intuitiv und eher schnell, andere mit vielen Gesprächen und unter Abwägung von Einzelheiten. Ich lege Wert darauf, dass Emotionen im Raum und im Gespräch Platz haben, denn dann kann ich echt sein.
Wenn Sie mit Ihrer Frage meinen, ob ich mal weine? Ja. Auch vor und mit meinen Kolleg:innen? Ja. In vollem Bewusstsein, welche Wirkung das hat? Nein.
Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass es eher eine öffnende Wirkung hat, wenn ich mich mit meinen Emotionen und Gedanken so zeigen kann, wie es mir geht und wie ich bin und damit Menschen indirekt dazu einlade, sich so zu zeigen, wie sie sind.
Bei TEAMWILLE haben wir uns schon vor ca. 5 Jahren auf den Weg gemacht, ein klassisches, hierarchisches Konstrukt in ein soziokratisches, prinzipiengeleitetes Organisationsmodell zu wandeln und ein System zu schaffen und zu erhalten, das ganz ohne systembedingte Machtdemonstrationen auskommt – kein Gesichtsverlust, kein Säbelrasseln, kein toxisches Arbeitsumfeld. Das sind alles Elemente, die in einem Unternehmen höchst schädlich sind und uns davon abhalten, einen guten Job zu machen.
Mein Führungsstil ist stark prinzipienorientiert und weniger regelorientiert. Ich höre immer wieder, dass das einer der größten Unterschiede zu anderen Unternehmen ist. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass es ein guter Weg ist, um „Empowerment“ bei möglichst vielen Kolleg:innen zu ermöglichen, nicht in sinnbefreiten Regeln zu stecken und mit diesen Regeln über Anforderungen aus einem dynamischen Umfeld zu entscheiden. Bei unseren Führungsverantwortungen ist es nicht wichtig, wie alt jemand ist, welchem Geschlecht er oder sie angehört, wie viele Stunden jemand arbeitet, ob er oder sie Kinder hat …
Mitarbeiter:innen mit Führungsrollen bei TEAMWILLE sehen sich eher als Entwicklungscoach. Können Sie als Geschäftsführerin auch diese Rolle einnehmen?
Das hoffe ich doch sehr. Ich verbinde mit dieser Rolle vor allem eine Haltung und eine Wirkung, die ich erzeugen kann. Diese ist für mich geprägt durch die offene und wertschätzende Haltung dem Menschen gegenüber.
Letztendlich ist es doch so, dass wir zwar ein Wirtschaftsunternehmen sind und mit dem, was wir tun, Geld verdienen müssen. Aber wir sind doch auch ein Platz, an dem Menschen zusammenkommen und zusammen eine ganze Menge Zeit verbringen müssen oder hoffentlich wollen. Wir geben alle unser Bestes, entwickeln neue Ideen und uns dabei persönlich weiter, und – vielleicht ist das der wichtigste Grund, der uns bei TEAMWILLE antreibt – wir wollen die Welt auch ein bisschen besser machen mit dem, was wir können, tun und entstehen lassen.
Mich als Geschäftsführerin sehe ich da eher in der Rolle der Person, die Dinge für unsere Organisation und damit für die Kolleg:innen möglich macht. Alles soll in eine große Idee passen, die wir bei TEAMWILLE haben und konsequent verfolgen.
Welche 3 Tipps würden Sie Frauen, die eine Führungsposition anstreben, geben, um dieses Ziel zu erreichen?
- Unterscheidet nicht nach Geschlechtern! Es geht nicht um eine Quote, die anhand von äußeren Geschlechtermerkmalen erfüllt werden muss. Heterogenität zeigt sich in der Art und Qualität der Diskussionen und bringt Kraft und Kreativität hervor, die alle Beteiligten innerhalb und außerhalb einer Organisation weiterbringt.
- Tu das, was du tust, mit Fokus, Aufmerksamkeit und Anspruch – vor allem aber mit Herz, Spaß und Leidenschaft.
- Mach es einfach, es macht riesig Freude. Limitierungen gibt es nur im eigenen Kopf.
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