„Krebs macht Angst, ist aber nicht unaussprechlich“
Im Rahmen der Kampagne „Unaussprechlich? Krebs im Arbeitsalltag“ spricht pme-Mitarbeiterin Susanne über ihre Krebserkrankung mit 31 Jahren.
„Ich bin Susanne, 36 Jahre alt. Und mit 31 Jahren hatte ich Brustkrebs“. So mutig und offen beginnt das erste Video für die Kampagne „Unaussprechlich? Krebs im Arbeitsalltag". Im Interview spricht pme-Mitarbeiterin Susanne über ihre Erkrankung, die Therapie und was ihr in der schweren Zeit am meisten geholfen hat.
Liebe Susanne, wie war das, als die Diagnose gestellt wurde?
Susanne: Als meine Tochter noch ein Baby war, entdeckte ich beim Stillen einen Knoten in der Brust. Aber meine Gynäkologin schickte mich wieder weg. Ich sei viel zu jung, als dass da etwas Ernsthaftes sein könne. Das müsse mit dem Stillen zusammenhängen.
Nachdem mich andere Ärzte mit derselben Begründung abgewiesen hatten, bin ich in ein großes Zentrum gegangen. Dann ging alles sehr schnell: Innerhalb von einer Woche kam die Diagnose, zwei Wochen später fing meine Chemotherapie an. Die dauerte ein halbes Jahr – mit allen Nebenwirkungen, die dazugehören. Danach wurden mir beide Brüste abgenommen und ich bekam Brustimplantate. Dann war der Spuk zu Ende und ich musste mich neu orientieren.
Wie ging es dir während der Chemotherapie?
Die Therapie ist sehr anstrengend für den Körper. Ich habe mich sehr schlapp gefühlt, war schwach und musste viel schlafen. Das hat sich auch auf die Seele niedergeschlagen.
Gab es etwas, was dich während der Therapie gut unterstützen konnte?
Was mich während der Therapie und danach sehr unterstützt hat, waren die Menschen in meinem sozialen Umfeld, die für mich da waren. Ich habe mich immer gefreut, wenn ich mal einen Anruf bekommen habe oder jemand vorbeigekommen ist und gesagt hat: „Komm, wir schnacken mal eine Runde“. Man freut sich über Banalitäten, weil man sonst nur über die Krankheit nachdenkt. Sehr hilfreich war außerdem die Unterstützung durch Psychoonkologen.
Und was hat dir in der schweren Zeit geholfen?
Ständig mit Mitleid konfrontiert zu werden ist das Letzte, was man in dieser Situation braucht. Was ich gebraucht und an manchen Stellen auch bekommen habe, ist Normalität.
Du hast vorher in einer Kita gearbeitet. Wie waren die Reaktionen deiner Teammitglieder auf die Diagnose Krebs?
Ich fand es sehr wertvoll, dass ich keinen Druck verspürt habe. Mir wurde das Gefühl vermittelt, ich darf mir Zeit lassen und in Ruhe heilen. Und das ist ja nicht nur die körperliche Heilung, sondern vor allem auch die seelische Heilung, und die dauert so viel länger.
Es gab allerdings bei den Kolleginnen auch Berührungsängste. Kolleginnen und Kollegen dürfen sich mehr trauen, Kontakt aufzunehmen oder zu halten. Es ist wichtig, sich noch als Teil des Ganzen zu empfinden, weil die soziale Isolation während so einer Erkrankung sehr belastend ist.
Du hast dich nach der Therapie beruflich neu orientiert. Warum?
Es war schnell klar, dass ich nicht weiter in der Kita arbeiten kann. Das war sehr schmerzhaft, weil ich diesen Job sehr geliebt habe. Doch da ist zum einen eine erhöhte Verletzungsgefahr. Zum anderen ist die Einschränkung, die langfristig im Kopf passiert, ganz gravierend. Die Chemotherapie geht ziemlich auf die Konzentrationsfähigkeit, ich habe fast fünf Jahre später immer noch damit zu tun, und meine Leistungsfähigkeit insgesamt hat stark nachgelassen.
Ich habe aber auch gesehen, dass jetzt ein riesiger Raum an Möglichkeiten vor mir liegt, und habe mir Unterstützung gesucht. Ich bin schon in der Reha zu einer Sozialberatung gegangen, danach habe ich eine Berufsorientierungsmaßnahme gestartet und gemeinsam mit einer Expertin geschaut: „Was kann ich denn jetzt eigentlich noch?“.
Ich wollte unbedingt in der Pädagogik bleiben und mit Menschen zu tun haben. Jetzt arbeite ich beim pme Familienservice als zentrale Fachberatung und bin dort für die pädagogische Begleitung und Beratung von über 60 Kitas und Krippen bundesweit zuständig. Und ich habe eine Ausbildung zur systemischen Beraterin und Therapeutin begonnen, die inzwischen fast beendet ist.
Du bist sehr mutig und offen mit deiner Krankheit umgegangen …
Ja, ich habe viel auf Instagram gepostet, mich mit Glatze gezeigt, über meine Chemo berichtet. Mit einer Krebserkrankung hat man das Gefühl, man ist völlig allein in diesem Chaos, in dieser Katastrophe. Das ist man aber nicht. Und wenn jemand offensiv damit umgeht, gibt das anderen ganz viel Trost.
… auch bei deinen Bewerbungen. Wie waren deine Erfahrungen?
Zu einigen Bewerbungsgesprächen wurde ich gar nicht erst eingeladen, weil ich in meiner Bewerbung sehr klar gesagt habe, wo ich herkomme, was in den letzten anderthalb Jahren bei mir passiert ist und welche Anforderungen das für einen neuen Job mit sich bringt. Das ist sehr schade, auch Menschen, die Krebs hatten oder haben, haben große Potenziale und Expertise.
Was brauchen Menschen von ihren Arbeitgebern, um wieder gut oder neu im Job starten zu können?
Aus meiner Sicht ist Offenheit und Respekt auf allen Ebenen wichtig. Ich muss sagen können, wie es mir gerade geht, und darauf vertrauen können, dass meine Teammitglieder gut damit umgehen.
Nach einer Krebserkrankung stehen ziemlich viele Termine an, z. B. alle paar Monate Nachsorge. Ich wünsche mir, dass Betroffene keine Angst davor haben müssen, zu sagen: „Ich falle heute leider aus, weil ich zum Arzt gehe“.
Wie ist es aktuell bei dir im Job?
Ich schätze mein Team und meinen Arbeitgeber sehr für das große Verständnis und dass ich jederzeit sagen kann: „Hey, ich brauch eine Pause“ oder „Ich kann das heute nicht leisten“. Ich kann immer darüber sprechen, was mich gerade beschäftigt, zum Beispiel wenn ich besorgt von einer Nachsorgeuntersuchung zurückkomme.
Was ist am Thema Krebs unaussprechlich? Oder anders gesagt: Was braucht es, um über Krebs zu sprechen?
Krebs macht Angst. Krebs ist unvorhersehbar. Krebs kommt, ohne sich anzukündigen, und man kann ihn nicht sehen. Ich glaube, es ist auch so schwierig, über Krebs zu sprechen, weil damit sofort Tod assoziiert wird. Aber Krebs bedeutet nicht immer Tod. Ich sitze hier und bin am Leben – vielleicht mehr als noch vor fünf Jahren.
Es gibt ein wunderschönes Zitat von Irvin Yalom, der sinnbildlich ungefähr sagt, dass die größte Angst, die wir haben, die Angst vor dem Tod ist, und dass wir Menschen nicht in der Lage sind, über diese größte Angst zu sprechen.
Aber Krebs ist nicht unaussprechlich. Je mehr wir über Krebs sprechen, desto mehr Verständnis haben wir füreinander, und desto normaler wird es, auch mit Menschen umzugehen, die anders ticken oder nicht so funktionieren, wie wir das vielleicht gerne hätten.
Videodreh für die Kampagne "Unaussprechlich? Krebs im Arbeitsalltag"
Mit mehreren kostenfreien Webinaren, Podcasts und Info-Artikeln geben wir Betroffenen, Angehörigen, HR-Verantwortlichen und Führungskräften Orientierungshilfen und Unterstützung an die Hand, wie sie mit der Diagnose Krebs umgehen können, wo sie finanzielle Unterstützung finden und mit ihrer Führungskraft sowie Kolleg:innen darüber sprechen können.
Alle Infos: www.familienservice.de/ueberkrebssprechen