„Als Angehöriger bin ich eine tragende Säule“
Im Rahmen der Kampagne "Unaussprechlich? Krebs im Arbeitsalltag" spricht pme-Mitarbeiter Michael über die Krebserkrankung seines Partners.
Welche Auswirkungen hat es auf die Beziehung und den Alltag, wenn der Partner an Krebs erkrankt? Wie kann man gut für den anderen da sein und gleichzeitig für sich selbst sorgen? Was können Kolleg:innen, Freunde und Verwandte tun? Ein Interview mit pme-Mitarbeiter Michael, dessen Partner vor vier Jahren an Krebs erkrankte.
Lieber Michael, wie bist du mit dem Thema Krebs in Kontakt gekommen? An welche Gefühle erinnerst du dich?
Michael: Vor mehr als vier Jahren bekam mein damaliger Partner überraschend die Diagnose schwarzer Hautkrebs. Mit so einer Diagnose brechen viele Herausforderungen über den Erkrankten herein, aber auch über die engeren Angehörigen. Erst einmal muss man diese Diagnose verdauen, und dann hat sich Angst breitgemacht: Wie bedrohlich ist das? Ist das gut behandelbar, oder bedeutet das jetzt das Ende?
Welche Auswirkungen hat so eine schwere Erkrankung des Partners auf den Alltag?
Als Partner ist man auf verschiedenen Ebenen eingebunden. Wenn die Behandlung beginnt, stehen etliche Arzt- und Krankenhaustermine an. Ich habe meinen Partner meist zu den Terminen begleitet, war aber auch voll berufstätig und musste all dies mit meiner beruflichen Tätigkeit abstimmen. Dazu kommt, dass die Arbeitsteilung im Alltag nicht mehr funktioniert, wenn der Partner erkrankt ist, sei es der Haushalt, organisatorische Dinge oder Einkäufe. Ich musste vieles auffangen.
Wie ging es dir im Job in puncto Vereinbarkeit?
In so einer Situation stößt man an Grenzen. Gerade die Termine bei Ärzten und in Krankenhäusern muss man nehmen, wie man sie bekommt. Da war es wichtig, dass mir mein Team und mein Arbeitgeber den Rücken freigehalten haben.
Allerdings kann niemand ahnen, was so eine Erkrankung des Partners bedeutet. Ich muss schon sagen, wie meine private Situation gerade ist und dass sich das auf meine Verfügbarkeit auswirken wird. Und dann muss man besprechen, wie man das gut hinbekommen kann.
Wenn Kolleg:innen oder Führungskräfte nicht wissen, was los ist, suchen sie sich mitunter selbst eine Erklärung, und das kann in eine falsche Richtung laufen. Vielleicht nehmen sie erst mal nur wahr, dass jemand nicht mehr ganz so engagiert wirkt oder weniger verlässlich und leistungsfähig ist als bisher. Deswegen ist es so wichtig, das Gespräch zu suchen. In der Regel reagieren alle sehr wohlwollend und wollen unterstützen.
Wie habt ihr die Kommunikation mit eurem Umfeld über die Krankheit erlebt?
Wer mit dem Thema Krebs bislang noch nicht intensiver in Berührung gekommen ist, ist häufig überfordert. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele unsicher sind, ob sie uns auf die Krankheit ansprechen sollen. Sie wollen nicht indiskret sein, haben aber gleichzeitig Angst, nicht empathisch oder schroff zu wirken, wenn sie sich nicht erkundigen, wie es dem Erkrankten geht. Gute Kommunikation ist sehr wichtig, damit das Umfeld angemessen reagieren kann. Wenn man sich als Betroffener oder Angehöriger nicht in der Lage fühlt, gut damit umzugehen, dann sollte man das sagen.
Oftmals ist es angenehm, wenn man einen möglichst normalen Umgang miteinander pflegt, denn die Krankheit ist ohnehin sehr präsent. Manchmal war ich dankbar über etwas Normalität. Und auch in so einer Situation hilft Humor, den sollte man sich bewahren.
Wie war das Zusammenleben mit deinem erkrankten Partner?
Diese Situation ist natürlich für alle schwer, insbesondere die erkrankte Person ist in einem Ausnahmezustand. Man muss sich darauf einstellen, dass man als Partnerin oder Partner durchaus auch als „Blitzableiter“ fungiert und häufiger Frust zu spüren bekommt. Die Nerven liegen blank und es kommt immer wieder mal zu konflikthaften Situationen und Streitereien. Wichtig ist es, die eigenen Grenzen zu wahren und sich auch mal Luft zu machen. Denn man stößt mitunter an die eigene Belastungsgrenze und muss achtsam mit sich selbst umgehen. Als Partner:in ist man eine tragende Säule im Paar- bzw. Familiensystem.
Mit wem konntest du deine Sorgen, Ängste und Nöte teilen?
Meine wichtigste Ansprechpartnerin war meine beste Freundin. Mit ihr kann ich sehr offen über alles reden, wir brauchen nicht viele Worte. Ich hatte außerdem einen guten Rückhalt von meinen Eltern und im Freundeskreis jemanden, der langjährig einen an Krebs erkrankten Partner hatte und die Situation sehr gut kannte. Der Austausch mit ihm war für mich sehr wertvoll.
Was hat sich als hilfreich erwiesen?
Mir war es sehr wichtig, meinen Partner zu den Arztterminen zu begleiten. Ich wollte aus ärztlicher Sicht hören, wie der Stand der Dinge ist, wie die Behandlung verläuft und was man tun kann. Zumindest am Anfang stand mein Partner bei den Terminen teilweise unter Schock und konnte die Informationen der Ärzte gar nicht so richtig aufnehmen. Wir haben dann zu Hause noch mal darüber gesprochen und ich habe eins zu eins übersetzt, was beim Termin besprochen wurde. Um unterstützen zu können, brauche ich als Angehöriger Informationen und die sollte ich mir holen. Deshalb ist es sehr wertvoll, solche Termine gemeinsam anzugehen.
Wo gerät man als Angehöriger an Grenzen?
Als Partner oder Partnerin kann man einiges auffangen. Ich darf aber nicht in die Rolle des Therapeuten gehen, denn damit überfordere ich mich. Außerdem ist man als Partner oft zu nah dran. Manche Dinge kann der Erkrankte leichter von einem Therapeuten oder einer Person aus dem entfernteren Umfeld annehmen. Hier bieten sich professionelle Stellen an, die Unterstützung und Hilfestellung leisten.
Wo bekommen Erkrankte und Angehörige Hilfe?
Es gibt Fachstellen mit Expert:innen, die auf den Bereich Onkologie spezialisiert sind, und psychoonkologische Beratungsstellen, an die sich Betroffene und Familienangehörige wenden können. Während der Krankenhausbehandlung unterstützt der Krankenhaus-Sozialdienst und bringt Hilfestellungen und Maßnahmen auf den Weg.
Empfehlenswert sind auch Selbsthilfegruppen, wo sich Betroffene oder Angehörige austauschen. Man kann auch erst einmal eine allgemeine Lebensberatung in Anspruch nehmen, etwa ein Lebenslagen-Coaching, wie es auch pme anbietet.
Im Nachgang empfehle ich Erkrankten auch, das Erlebte psychotherapeutisch aufzuarbeiten, denn es liegt eine große Belastung hinter einem.
Was hat dir persönlich geholfen, in Balance zu bleiben?
Am meisten hat mir mein stabiles soziales Umfeld geholfen. Ich wusste, da sind Menschen, mit denen ich über meine Sorgen und Ängste reden und mit denen ich auch mal etwas Schönes unternehmen kann. Man darf nicht in Schockstarre verfallen und sich nur noch mit der Krankheit beschäftigen.
Anfangs nimmt man sich oft erst einmal mit den Annehmlichkeiten des Lebens zurück. Man muss funktionieren und den Alltag bewältigen. Aber das ist nicht die richtige Herangehensweise. Als Angehöriger bin ich eine tragende Säule in diesem System. Ich brauche Kraftquellen, die das Energiefass laden. Deshalb darf und muss ich mich auch den Dingen im Leben zuwenden, die mir Kraft geben und mich in der Balance halten. Da hat jeder Mensch seine eigenen Aktivitäten. Ob ich mich mit einer guten Freundin auf einen Kaffee treffe, zum Sport gehe oder ins Theater etc. – erlaubt ist, was einem guttut und Ausgleich und Energie gibt. Und das ganz ohne schlechtes Gewissen.
Unsere Kampagne heißt „Krebs: unaussprechlich?“. War das Thema für dich jemals unaussprechlich?
In der Situation war es für mich nicht so einfach, darüber zu sprechen. Jetzt kann ich nur sagen: „Krebs ist auf keinen Fall unaussprechlich“. Ich muss meine Gedanken, meine Sorgen und Nöte mit anderen teilen. Ich muss den Alltag bewältigen. Ich muss mich erklären, damit die Kolleg:innen und Führungskräfte verstehen, was los ist und was ich brauche. Das Schlimmste ist, nicht darüber zu sprechen.
Ist Krebs in Unternehmen ein Tabuthema? Was können Arbeitgeber tun, um es aufzubrechen?
Als Berater und Coach habe ich den Eindruck, dass in Unternehmen Erkrankungen häufig tabuisiert werden, insbesondere Krebs. Deshalb war es mir ein Herzensanliegen, an dieser Kampagne teilzunehmen.
Es ist wichtig, dass Arbeitgeber solche Themen bei den Beschäftigten platzieren. Diese müssen wissen, dass es im Unternehmen Unterstützungsmöglichkeiten gibt, dass sie Beratung oder Coaching in Anspruch nehmen können. Dazu gehört auch, dass die Kollegen und Teams im Austausch sind, um sich gegenseitig unterstützen und auffangen zu können.
Kommst du als Lebenslagen-Coach oft mit dem Thema Krebs in Kontakt?
Zahlen belegen, dass Krebserkrankungen zunehmen, vor allem unter jungen Menschen. Das spüren wir auch im Lebenslagen-Coaching. Vor allem sehen wir die Nöte der direkt Betroffenen und der Angehörigen.
Die Erkrankten sind oft von Ängsten und Sorgen gequält und haben Gesprächsbedarf. Gleichzeitig fragen sie sich, wie sie damit umgehen, wie sie das mit dem Beruf und der Familie regeln sollen. Da gibt es viele Unsicherheiten. Bei Angehörigen ist es oft ein Spannungsfeld zwischen Überforderung und Überlastung, Frustration und Unsicherheit. Wie gehe ich mit dem Wechselbad der Gefühle um? Darf ich meine Bedürfnisse äußern? Darf ich ohne schlechtes Gewissen was für mich tun? Es ist gut, das mit jemandem zu beleuchten.
Hast du das Gefühl, dass es den Menschen schwerfällt, über Krebs zu sprechen?
Ja, vielen fällt es schwer. Da ist zum einen die Angst, dass es als Schwäche ausgelegt wird, wenn sie nicht resilient oder belastbar sind. Manche haben nicht gelernt, zu zeigen, dass sie Hilfe brauchen. Man muss immer stark sein und funktionieren, viele von uns sind getrieben von solchen Prägungen. Das führt dazu, dass wir die eigenen Bedürfnisse nicht mehr wahrnehmen oder sie übergehen – und das kann krank machen.
Aber ich erlebe auch, dass Lebensberatung und Therapie nicht mehr so negativ behaftet sind wie in der Vergangenheit. Der Trend geht dahin, Hilfe in Anspruch zu nehmen und darüber zu reden. Das ist eine sehr positive Entwicklung. Reden kann helfen, damit die Seele gesund bleibt.
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