Herr Griesbeck, mal ganz grundsätzlich: Was halten Sie vom Pflegestärkungsgesetz II?
Jürgen Griesbeck: Das PSG II kommt in vielen Bereichen einer kleinen Revolution gleich. Galt bisher eher die Devise „Hauptsache satt und sauber“, werden die Pflegebedürftigen künftig individuell mit ihren noch vorhandenen Kompetenzen betrachtet, und ihnen wird explizit soziale Teilhabe ermöglicht – gefördert mit 125 Euro pro Pflegebedürftigem und Monat.
Einen Paradigmenwechsel leitet auch die Hinwendung zur ambulanten Pflege ein: Wer Pflege privat organisiert, wird finanziell deutlich besser unterstützt. Im Gegenzug werden die Leistungen für die stationäre Betreuung eingeschränkt. Das kommt dem Wunsch vieler Pflegebedürftigen entgegen, möglichst lange im eigenen Zuhause zu bleiben.
Neben viel Lob gab es auch Kritik am Pflegestärkungsgesetz II. Warum eigentlich genau?
Ein Kritikpunkt ist, dass der Eindruck entstehe, es handele sich um eine Rundum-Versorgung. Doch die gibt es noch nicht, sie ist erst im Entstehen. Weder gibt es die alternativen Pflegeeinrichtungen noch das erforderliche Netz an bundesweiten Beratungsstellen oder die vielen benötigten Ehrenamtlichen für die ambulante Pflege.
„Die Pflegeberatung wird erst aktiv, wenn ein Antrag gestellt wurde.
Das ist oft zu spät.“
Es wird also noch dauern, bis sich alles eingespielt hat. Doch wenn das der Fall ist – worin sehen Sie die Rolle des pme Familienservice?
Unsere Rolle ist vielfältig – unter anderem sehen wir uns als Interessenvertreter der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen, wenn es darum geht, die geplanten Leistungen zu erhalten. Während die Pflegekassen eher kostengünstigste Lösungen favorisieren werden, beraten wir neutral und ergebnisoffen. Außerdem wird die Pflegeberatung erst aktiv, wenn ein Antrag auf Pflegebedürftigkeit gestellt wird. Das ist oft zu spät. Unser Service setzt bereits weit vor der Antragstellung an und hört auch dann nicht auf, wenn eine Pflege gefunden wurde.
Unsere weitere Rolle ergibt sich aus den unterschiedlichen Zielgruppen: Die Zielgruppe der PSG II sind Pflegebedürftige. Unsere sind vorrangig berufstätige Angehörige. Das heißt, wir beraten unsere Kunden auch zu Fragen der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege und helfen ihnen mit psychologischer Beratung, Stress zu reduzieren und trotz der Doppelbelastung Beruf und Pflege gesund zu bleiben.
Es gibt also Bereiche, die die Pflegeberatung im Rahmen des PSG II nicht abdeckt?
Ich gehe davon aus, dass bei der zugesicherten Beratung nach § 7a das Leistungsversprechen nicht gleich realisiert werden kann, weil schlicht die Ressourcen fehlen. Doch auch wenn das eines Tages funktioniert, benötigen Pflegebedürftige und Angehörige zusätzliche Unterstützung.
Ein wesentlicher Teil unserer Arbeit ist die passgenaue Vermittlung von personeller Unterstützung und vertrauenswürdigen Heimplätzen. Das ist in der Praxis mit viel Recherche und Gesprächen verbunden. Diese Arbeit kann weder von den Kassen übernommen noch durch Online-Portale kompensiert werden. Und dann beschränkt sich die Beratung der Pflegestützpunkte auf Leistungen der Kasse, was nicht immer mit den wirklichen Bedürfnissen und Lösungswünschen der Betroffenen übereinstimmt.
Letztlich haben wir eine andere Leistungstiefe als die Pflegestützpunkte: Wir können auch den Schriftverkehr mit Behörden übernehmen, was Pflegestützpunkte nicht dürfen. Wir beraten zu barrierefreiem Wohnen und neuen sowie alternativen Wohnformen oder zu digitalen Hilfsmitteln.
„Wir bieten Lösungen an, die eine Freistellung von Mitarbeitern in den
meisten Fällen deutlich reduzieren oder unnötig machen.“
Für pme beginnt Pflege nicht erst mit einer festgestellten Pflegebedürftigkeit. Wann setzen Sie mit der Beratung an?
Die zunehmende Alterung unserer Gesellschaft sensibilisiert viele Menschen für die Frage: „Was wird aus mir, wenn ich alt werde? Wie werde ich leben?“. Unseren Kunden bei diesen Entscheidungen zur Seite zu stehen, und das schon lange vor einer Pflegebedürftigkeit, ist unser Anspruch. Das ist weit in die Zukunft gegriffen. Aus diesem Grund wird Homecare-Eldercare mittelfristig zu Future Care werden – also die individuelle Selbstsorge für die Zukunft. Hier geht es auch um Themen wie den Übergang in die nachberufliche Phase, Wohnen im Alter, Finanzierung des eigenen Alters, Vorsorgemöglichkeiten, Erben und vererben oder Teilhabe in Kultur und bürgerschaftlichem Engagement.
Auch Arbeitgebern stehen wir im Rahmen von Future Care bei betrieblichen Entwicklungen zur Seite – beispielsweise wenn es um den demografischen Wandel im Unternehmen geht, um lebensphasenorientierte Arbeitszeitmodelle oder die Chancen von gemischtgenerativen Teams sowie um gelungenen Wissenstranfser beim Ausscheiden von langjährigen Mitarbeitern.
Was haben Unternehmen für einen Nutzen, wenn sie pme beauftragen?
Das PSG II setzt besonders auf die ambulante Versorgung und kürzt die Leistungen für stationäre Betreuung. Das kann berufstätige Angehörige unter Druck setzen, was nicht im Sinne der Arbeitgeber ist. Deren Interesse ist es, dass Beschäftigte mit voller Kraft berufstätig sind und bleiben. Wir bieten attraktive Lösungen zur Vereinbarkeit an, die eine Freistellung von Mitarbeitern in den meisten Fällen deutlich reduzieren oder unnötig machen.
Und zum Schluss: Haben Sie einen Tipp für Angehörige von Pflegebedürftigen?
Nehmen Sie die Veränderungen in der Tagespflege zur Kenntnis. Bisher richtete sich Tagespflege schwerpunktmäßig an demenziell erkrankte Personen. Künftig können das alle Pflegebedürftigen nutzen, und so werden die Angebote der Tagespflege mehr und mehr auf Menschen abgestimmt, die nicht dement sind. Das ist eine gute Sache: Die Pflegebedürftigen kommen unter Menschen, können sich austauschen und Freizeitbeschäftigungen nachgehen. Dafür erhält jeder Pflegebedürftige pro Monat bis zu 1.995 Euro. Das Geld verfällt, wenn die Tagespflege nicht in Anspruch genommen wird. Ermuntern Sie Ihre Angehörigen, das auszuprobieren.
Außerdem: Nutzen Sie die Gelder für wohnumfeldverbessernde Maßnahmen. Ab Pflegegrad 1 sind das 4.000 Euro. Gerade für Menschen mit eigener Immobilie ist das ein großer Anreiz, über eine Modernisierung nachzudenken.