
Autorin Katja Lewina über Liebe und Sex
Sexualität ist so individuell wie die Menschen selbst – und doch fällt es vielen schwer, offen über ihre Wünsche, Fantasien und Grenzen zu sprechen. Was hält uns davon ab? Welche Rolle spielen gesellschaftliche Normen dabei? Und wie gelingt eine ehrliche Kommunikation in Beziehungen? Im Interview mit der Autorin Katja Lewina sprechen wir über hartnäckige Klischees rund um die Libido, über Nähe, Unsicherheiten und die Kunst, sich selbst treu zu bleiben. Foto ©Julija Goyd
"Das Wichtigste ist, sich erstmal selbst zu verstehen"
Viele Paare tun sich schwer damit, offen über ihre Wünsche, Fantasien oder Frustrationen zu reden. Warum ist das so?
Katja Lewina: Wir lernen von klein auf, was wir tun müssen, um geliebt zu werden – und ehrlich zeigen, was uns auf dem Herzen liegt, gehört meist nicht dazu. In Liebesbeziehungen pflanzt sich das dann fort: Was wir fühlen, könnte unser Gegenüber verletzen.
Oder wir selbst wollen uns keine Blöße geben. Über Manches denken wir vielleicht: „Das macht man nicht“. Und oft spüren wir noch nicht einmal selbst, was genau eigentlich in uns vor sich geht. Weil wir auch das nicht gelernt haben.
Haben sie einen Tipp für eine ehrlichere und ungezwungenere Kommunikation über Sex?
Katja Lewina: Das Wichtigste ist, sich erstmal selbst zu verstehen: Was will ich, was will ich nicht? Manchmal ist da ja nur so ein diffuses Gefühl der Unzufriedenheit oder der Sehnsucht. Das klarzubekommen geht super im Gespräch, wenn man alleine nicht weiterkommt. „Hilf mir rauszufinden, was bei mir los ist“, ist eine Bitte, die kein:e Liebende:r ausschlagen wird.
Und wenn man ein konkretes Anliegen hat? Dann einfach raus damit, so wie es ist. Zusammen mit all der Scham und all der Unsicherheit und all der Lust. Ehrlicher kann es nicht werden.
Monogamie, offene Beziehungen, Polyamorie – es gibt viele Möglichkeiten, Liebe und Partnerschaft zu gestalten. Warum fällt es den meisten trotzdem so schwer, von der klassischen Zweierbeziehung abzuweichen?
Katja Lewina: Das romantische Ideal des „Alles mit einem für immer“ ist einfach zu stark. Die Vorstellung, diese eine Person zu haben, die mich in jeder Hinsicht glücklich macht, ist ja auch super verlockend – da fühlt man sich fast wie ein Kind in Mutters Schoß. Dass das in den allermeisten Fällen nicht funktioniert, blenden wir lieber aus. Es gibt ja auch kaum Vorbilder, die uns beweisen würden, dass es auch anders geht.
"Nicht-Monogamie ist wie ein Brennglas für bestehende Konflikte"
Was ist die größte Herausforderung bei einem alternativen Beziehungsmodell?
Katja Lewina: Viele denken, wenn es kriselt: „Dann öffnen wir halt die Beziehung, bringt bestimmt Pep rein.“ Dabei ist Nicht-Monogamie eher so etwas wie ein Brennglas für bestehende Konflikte, ohne Grundstabilität fährt man das Ganze schnell vor die Wand.
Gerade anfangs wird man häufig an die eigenen Grenzen gebracht, muss ständig kommunizieren: Eifersucht kann plötzlich eine Rolle spielen, man muss Absprachen treffen, ehrlich zu einander sein. Das ist ziemlich anstrengend. Aber sorgt im Idealfall auch für eine tiefe Nähe.
Männer gelten oft als die „triebgesteuerten“, Frauen als „zurückhaltender“ in Sachen Lust. Woher kommen diese hartnäckigen Klischees – und wie realitätsnah sind sie wirklich?
Katja Lewina: Erziehung, Popkultur, Gesellschaft stricken an diesen patriarchal gefärbten Mythen mit, die dazu dienen, die Sexualität der Frau zu kontrollieren. Dafür bedient man sich auch biologischer Gründe: Eine Frau ist beispielsweise schon durch ihren wechselnden Hormonspiegel nicht jederzeit heiß auf Sex, außerdem ist sie wählerischer bei ihren Sexualpartnern.
Gleichzeitig aber kann sie sehr viel häufiger Orgasmen haben als Männer und ist laut Studien deutlich erregbarer, als sie selbst es wahrnimmt. Was darauf hindeutet, dass es gerade die gesellschaftliche Unterdrückung der weiblichen Sexualität ist, die es vielen Frauen so schwer macht, in Kontakt mit ihrer Lust zu kommen.
Was bräuchte es, um offener über weibliche und männliche Libido zu sprechen?
Katja Lewina: Oft hilft es zu verstehen, dass viele unserer Probleme gar nicht so besonders sind, wie wir glauben, sondern an gesellschaftlichen Strukturen hängen, in die wir hineingeboren sind und die uns unwillkürlich geprägt haben.
Wenn wir anfangen, sie zu durchdringen, verstehen wir uns selbst und unser Gegenüber oft besser. Das könnte ein guter Anfang sein.
Liebe und Begehren waren schon immer eine Herausforderung – aber heute stehen wir an einem besonderen Wendepunkt. Zwischen romantischer Liebe, „anything goes“ und überhöhten Erwartungen fragen wir uns: Was macht uns freier, was überfordert uns?
Vorträge, Workshops, Podcasts, die unsere Resilienz fördern
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