Mentale Stärke im Sport: „Leistungsfähigkeit und innerer Antrieb“
Was bedeutet es, mental stark zu sein?
Christoph Herr: In diesem Zusammenhang ist oft von Stressresistenz, auch Resilienz genannt, die Rede. Die Widerstandsfähigkeit gegenüber psychischem Druck ist ein zentrales Merkmal von mentaler Stärke. Diese zeigt sich auch durch einen positiven und konstruktiven Umgang mit Misserfolg und durch Konzentrationsfähigkeit, um die volle Leistung zum gewünschten Zeitpunkt abzurufen.
Woran erkenne ich, ob ich mental stark bin oder nicht?
Christoph Herr: Eine entscheidende Rolle spielen hier ein starkes Selbstwertgefühl und eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung. Wenn ich beispielsweise schwierigen und herausfordernden Situationen mit Zuversicht begegnen kann oder in solchen Momenten innere Ruhe bewahre, sind das Anzeichen für mentale Stärke.
Dein Job ist es, Leistungssportler mental fit zu halten. Wie genau funktioniert das?
Christoph Herr: Die Sportpsychologie ist ein sehr facettenreiches Berufsfeld, das sich sowohl den Teamprozessen als auch der Individualität von einzelnen Personen widmet. So müssen wir in der Sportpsychologie die Gesprächsführung beherrschen und ein hohes Maß an Empathie mitbringen.
Grundsätzlich ist meine Haltung gegenüber den Teams und den Sportler:innen „so passiv wie möglich, so aktiv wie nötig“. Durch eine beobachtende Rolle stehe ich Trainer:innen und Spieler:innen jederzeit als neutrale Ansprechperson zur Verfügung. In Einzelgesprächen geht es um die unterschiedlichsten Themen, die von privaten Kontexten über Verletzungssituationen bis hin zu mentalen Blockaden reichen können. Hier können wir mit verschiedenen Übungen z. B. zur Wettkampfvorbereitung, Fokussierung und Entspannung unterstützen. Im Teamkontext können beispielsweise auch Maßnahmen für Teambuilding, Zielsetzung oder Konfliktmanagement einfließen.
Kann man mentale Stärke trainieren? Wenn ja, wie?
Christoph Herr: Wichtig ist, dass man in erster Linie mit sich selbst achtsam umgeht. Derzeit wächst das Thema „Entspannungsmethoden“ rasant, die immer öfter in den Kontext mit Achtsamkeit, Meditation und Yoga gebracht werden. Alle diese Methoden haben das Ziel, ein besseres Gefühl für sich und seine Situation zu entwickeln. Hierbei helfen auch verschiedene Ansätze zur Selbstreflexion. Beispielsweise können wir Adjektive, die uns selbst beschreiben, sammeln und mit außenstehenden Personen aus dem sozialen Umfeld reflektieren.
Die erwähnten Entspannungsmethoden lassen sich – ähnlich wie für das Thema „Konzentration und Fokussierung“ – durch Atemtechniken trainieren. Das soziale Umfeld hat dabei einen großen Einfluss auf das Gefühl von psychischer bzw. emotionaler Sicherheit, das unabdingbar für die Entfaltung von positivem Denken und somit mentaler Stärke ist.
Welche Methode, mentale Stärke zu trainieren, klappt am besten?
Christoph Herr: Es gibt kein Rezept, das für alle gleich gut funktioniert, da wir Menschen sehr unterschiedlich und individuell sind. Das mentale Training beispielsweise kann durch verschiedene Techniken zur Visualisierung die Spieler:innen unterstützen, sich auf wichtige Situationen vorzubereiten, indem diese spezifisch vor dem geistigen Auge vorgestellt und durchgegangen werden. So verinnerlicht man auf der einen Seite gewisse Abläufe, auf der anderen Seite können dadurch Versagensängste minimiert werden.
Wie kann ich das in meinen Alltag integrieren? Welche Tipps hast du?
Christoph Herr: Ein Vorteil von mentalem Training ist, dass es überall und zu jeder Zeit durchführbar ist. Man kann in Situationen, die anspruchsvoll sind, kurze Atemtechniken oder das Schließen der Augen und eine kurze Visualisierung einbauen. Zur Wettkampfvorbereitung – für den Alltag können z. B. Vorstellungsgespräche als Vergleich genommen werden – oder als Trainingsvorbereitung können 10- bis 15-minütige Einheiten am Abend helfen, sich auf die bevorstehenden Situationen vorzubereiten oder bestimmte Abläufe zu festigen.
Profi-Fußballspieler wirken im Spiel voller Energie, Konzentration und Tatendrang. Wie schaffen sie es, dieses Level auf den Punkt zu aktivieren?
Christoph Herr: Durch die bereits oben angesprochenen Ansätze. Das punktgenaue Abrufen der gewünschten Leistung ist das Ergebnis von mentaler Stärke sowie einer starken intrinsischen (aus eigenem Antrieb) Motivation und Willenskraft, um sich immer wieder aufs Neue den Anforderungen zu stellen.
Schaffe ich das auch, wenn es mir morgens schwerfällt, in den Tag zu starten? Kann ich mentale Stärke gezielt abrufen, wenn ich sie brauche?
Christoph Herr: Ich kann mir z. B. durch Rituale und Routineabläufe kleine Hilfestellungen geben, die mich dazu befähigen, den inneren Widerstand zu überwinden. Wichtig ist, dass man sich an solchen Tagen kleine Ziele setzt und den Fokus beispielsweise auf die körperliche Aktivierung und frische Luft setzt, bevor die Gedanken an weitere bevorstehende Herausforderungen die Oberhand gewinnen.
Inwieweit ist mentale Stärke der Schlüssel zu Gesundheit, Erfolg und Gemeinschaft?
Christoph Herr: Mentale Stärke kann eine entscheidende Rolle für die (mentale) Gesundheit spielen. Wichtig ist, dass wir psychische Erkrankungen klar von der mentalen Stärke trennen! Die Sportpsychologie widmet sich in erster Linie der positiven Psychologie, deren Fokus auf dem Erhalt und der Entwicklung der Leistungsfähigkeit liegt. Wie bereits beschrieben, ist ein gutes Teamgefüge sehr wichtig für den gemeinsamen Erfolg, weshalb das Schaffen von Identifikation mit dem Team und gemeinsame Werte immer wieder Teil unserer Arbeit sind.
Wie kann Mindance helfen, mentale Stärke zu entwickeln? Wie wurde es beim DFB genutzt?
Christoph Herr: Das digitale Angebot von sportpsychologischen Inhalten durch Mindance kann Nutzer:innen dabei unterstützen, neben Techniken zur Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion auch die Balance zwischen Anspannung und Entspannung zu finden. Dies kann die Entwicklung von mentaler Stärke fördern.
Das Angebot von Mindance wurde bei zwei U-Nationalmannschaften des DFB eingesetzt und mehrere Monate getestet. Dabei konnten durch einen aufbauenden Trainingsplan seitens Mindance verschiedene Entspannungstechniken hinsichtlich achtsamkeitsbasierter Inhalte erlernt und Erfahrungen hinsichtlich der kognitiven Flexibilität (Wahrnehmung und Entscheidungsverhalten) gesammelt werden.
Christoph Herr ist Sportpsychologischer Experte M.Sc. & freiberuflicher Coach. Der aus Überlingen am Bodensee stammende und mittlerweile in Heidelberg lebende sportpsychologische Experte arbeitet seit 2014 mit Leistungssportler:innen und Privatpersonen deutschlandweit zusammen. Seine Leidenschaft zum Sport und dessen Herausforderungen vor allem im mentalen Bereich bewegten ihn dazu, andere Menschen nachhaltig zu unterstützen.
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