Führungsjob und Familie: "Wir brauchen Vorbilder!"
Als Personalleiterin für das Linde Engineering Headquarter und Mutter einer kleinen Tochter möchte Evelyn Schipfer anderen Frauen ein Vorbild sein, dass eine Führungsrolle mit der wertvollen Zeit für die Familie vereinbar ist. Im Interview spricht sie über ihre Erfahrungen und gibt Tipps für Frauen, die im Job mehr erreichen wollen.
Frau Schipfer, Sie sind Vorbild dafür, dass eine Führungsrolle mit der Zeit für die Familie vereinbar ist. Wie gelingt das?
Evelyn Schipfer: Es gibt keine Musterlösung, jede Person muss für sich das richtige Modell finden. Als ich nach der Elternzeit ins Büro zurückgekehrt bin, habe ich mir überlegt, was mir wichtig ist. Dazu gehört, dass der Tag mit einem gemeinsamen Frühstück mit meiner Tochter und meinem Mann beginnt. Ich kann an einer Hand abzählen, wann mir dies nicht möglich war. Oder die feste Verabredung, die ich einmal pro Woche mit meiner Tochter habe. Mein Chef und mein Team kennen diesen Termin und können darauf Rücksicht nehmen.
Ich möchte ein Vorbild sein, dass man sich Zeitfenster bewusst einplanen kann. Das bedeutet dann auch, dass ich am Abend Themen für den nächsten Tag vorbereite und wichtige E-Mails beantworte. Das Wochenende ist Familienzeit. Falls nötig, schalte ich den Laptop erst am Abend ein.
Es gibt Phasen, in denen man als Führungskraft sehr gefordert ist und wenig Zeit für die Familie und sich selbst bleibt. Ein schlechtes Gewissen ist dann kein guter Ratgeber. Ich empfehle vielmehr, sich auf wieder mehr Flexibilität und schöne Unternehmungen mit der Familie zu freuen, etwa wenn ein Projektstart oder wichtige Verhandlungen erfolgreich waren.
Welche „Stolpersteine“ sind Ihnen auf Ihrem Karriereweg begegnet?
Ehrlich gesagt fallen mir keine großen „Stolpersteine“ ein. Ich hatte das Glück, in den verschiedenen Unternehmen auf Menschen zu treffen, die mein Potenzial gesehen und mich unterstützt haben, meine Ideen umzusetzen und meine Ziele zu erreichen, und mir im richtigen Moment einen wertvollen Rat gegeben haben. Aber natürlich gibt es gewisse Dinge, die einem bewusst sein sollten. Dies können Verhaltens- oder Kommunikationsweisen, Spielregeln oder Persönlichkeitsmerkmale sein.
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Zu den Datenschutzeinstellungen »Welche Strukturen braucht es in Unternehmen, damit Frauen Karriere machen und Beruf und Privatleben vereinbaren können?
So vielfältig Unternehmen sind, so vielfältig können die Antworten ausfallen. Für mich braucht es einen offenen Austausch und Vorbilder, wie es als Frau, als Mann oder als Eltern gelingt, Familie und Karriereambitionen zu vereinbaren. Wir haben z. B. gemeinsam mit dem GDW („Global Digital Women“) tolle Workshops unter dem Titel „Stepping Up“ realisiert und stellen regelmäßig in kurzen Podcasts großartige Frauen mit unterschiedlichen professionellen und kulturellen Hintergründen im Unternehmen vor.
Auf welche klassischen „Karrieretipps“ und Strategien können Frauen Ihrer Meinung nach verzichten?
Als Frau „taff“ zu sein, um Karriere zu machen, halte ich für wenig sinnvoll. Im Gegenteil ist es doch wunderbar, die gesamte Klaviatur spielen zu können. Wesentlich ist es, authentisch zu sein und die Menschen, mit denen man zusammenarbeitet, wertzuschätzen.
Eine „Ellbogentaktik“ kam für mich nie in Frage. Ich überzeuge durch meine Fähigkeiten und Ideen – und nicht, indem ich die vermeintlichen Schwächen anderer aufzeige. Wenn es um Aufstiegsmöglichkeiten geht, sollte man sich zudem Offenheit bewahren und sich nicht nur auf den „Masterplan“ fokussieren. Es ist wichtig, die eigenen Ziele zu verfolgen. Aber was haben sich schon für großartige Wege aufgetan, die ich zuvor nicht für möglich hielt!
Ein Zitat, das ich gerne teile: „Choose your fights wisely“.
So klappt es mit mehr Verantwortung im Job: 6 Tipps von Evelyn Schipfer
1. Investieren Sie in Auftreten und Wirkung
Ich hatte vor gut einem Jahr das Glück, mit einer fantastischen Trainerin an Körperhaltung, Stimme und Gestik zu arbeiten. Dafür brauchte es kein mehrtägiges Coaching oder Rhetorikseminar. Es gibt einfache, wirkungsvolle Tipps, wie man aufbauend auf die eigene Persönlichkeit Auftreten und Professionalität stärken, seine Sichtbarkeit erhöhen und dabei auch weibliche Attribute betonen kann.
2. Sitzen Sie „mit am Tisch“
Zeigen Sie Bereitschaft, Verantwortung für neue und komplexe Themen zu übernehmen, und fordern Sie Beteiligung ein. Bei mir hat das bedeutet, klar zu artikulieren, wenn ich bei wichtigen Gesprächen dabei sein möchte, anstatt nur Zuarbeit zu leisten und im Nachgang über die Ergebnisse informiert zu werden. Dafür investiere ich in eine gute Vorbereitung und kann sehr ausdauernd sein.
3. Ergreifen Sie Chancen und seien Sie loyal
Als ich vor fünf Jahren die Möglichkeit bekam, eine Führungsrolle zu übernehmen, war ich die Jüngste im Team mit der kürzesten Unternehmenszugehörigkeit. Ich bin die Aufgabe mit Respekt, nicht zu viel Aktionismus, aber auch mit dem Selbstbewusstsein angegangen, dass ich auf mehrere Jahre relevante Erfahrung in großen Konzernen zurückschauen konnte. Als mein Arbeitgeber mir das Vertrauen geschenkt hatte, war für mich klar, dass ich mindestens zwei Jahre in diese Rolle investiere, bevor sich mein Traum von einer kleinen Familie erfüllen soll.
4. Vertrauen Sie Ihrem Team und managen Sie Komplexität
Teilen Sie Wissen und alle Informationen, die für das Team wichtig sind. Ich selbst möchte eigenverantwortlich arbeiten, das gebe ich auch in der Führung weiter. „Accountability“ bedeutet im ersten Schritt, Mitarbeitenden Handlungs- und Entscheidungsspielraum zu geben. Im Team diskutieren wir gemeinsam unterschiedliche Standpunkte und priorisieren Themen. Nur so kann ich mir Raum für neue Projekte schaffen und die festgelegten Strategien und Visionen verfolgen.
5. Bauen Sie ein funktionierendes Netzwerk auf
Nicht die Zahl der Kontakte ist entscheidend, sondern die Qualität. Strategische Kontakte sind wichtig, um persönliche und geschäftliche Ziele zu erreichen. Sie brauchen aber auch Menschen im Netzwerk, denen Sie persönlich vertrauen, die ehrliche Ratgeber und Kritiker sind, und mit denen Sie schöne ebenso wie schwierige Momente teilen können.
6. Üben Sie sich in Gelassenheit und steuern Sie Ihre Emotionen
Jeder von uns erlebt Situationen, die eine Emotion auslösen: Ein Lösungsvorschlag wird in Frage gestellt, unerwartet kommen Gegenargumente oder entstehen Konflikte. Ich habe gelernt, in solchen Situationen ruhig und professionell zu bleiben und die Situation im Anschluss zu reflektieren. Dadurch gewinnt man im Lauf des Berufslebens an Erfahrung und Souveränität. In Gesprächen mit einer großartigen Senior Managerin habe ich zwei wichtige Botschaften mitgenommen:
1. „Es ist als Frau in einem männlich geprägten Business nicht immer einfach, ‚Karriere‘ zu machen. Daher lernen wir gemeinsam, auf welche Stolpersteine man achten muss.“
2. „Wenn dir dein Manager ein Feedback gibt oder Kritik äußert, kannst du an dir zweifeln. Du kannst es aber auch als Zeichen der Wertschätzung sehen, dass er an deiner Entwicklung und deinem Auftreten interessiert ist.“