Mit "Change" wird das Phänomen rasender Veränderung in der Unternehmenswelt beschrieben. "New Work" fordert permanente Anpassung von allen Beteiligten. Aber warum vollziehen sich manche Veränderungen nur schleichend? Stichwort: Frauen in Führungspositionen oder Arbeitszeitreduzierung auf der Top-Ebene. Brigitte Abrell – Autorin des Buches "Führen in Teilzeit" – weiß: "Das ist ein komplexer Prozess, der von den Entscheidern abhängt. Rollenmodelle ändern sich nur langsam." Trotzdem ist auch hier Wandel zu spüren. Je mehr Arbeitnehmer nachwachsen, die neue Arbeitsweisen nachfragen, desto schneller! Doch wie funktioniert Führung ohne ständige Präsenz im Unternehmen? Lesen Sie unser Interview mit Brigitte Abrell:
pme: Was bedeutet Führung in Teilzeit? Die Reduzierung einer 60-Stunden-Woche auf eine 40-Stunden-Woche?
Brigitte Abrell: Nein, dieses Modell ist mit Führen in Teilzeit nicht gemeint und glücklicherweise auch nicht die Regel. Realistischer ist eine Reduzierung der Arbeitszeit von etwa 40 Wochenstunden auf einen vollzeitnahen Anteil, beispielweise plus-minus 30 Stunden.
Im Jobsharing lassen sich auch Teilzeitwünsche im Halbtagsbereich erfolgreich realisieren.
Mit der Arbeitszeit muss aber auch das Arbeitsvolumen angepasst werden. Delegierbare Aufgaben der Führungskraft müssen auf andere Personen, zum Beispiel auf bestimmte Teammitglieder, übertragen werden.
pme: Ist es ein Mythos, dass Führung nur mit ständiger Anwesenheit gelingt?
BA: Ja, das scheint vor allem in Deutschland noch immer eine feste Annahme zu sein. Dabei gibt so viele Männer in Führungspositionen, die beispielsweise ein Ehrenamt bekleiden oder sich in der Politik engagieren. Auch sie erledigen ihren Job im Unternehmen im Prinzip in Teilzeit, nur wird das nicht so wahrgenommen.
Außerdem bleibt die Frage der Produktivität. Der Output ist bei einer 80-Prozent-Stelle nicht unbedingt geringer als bei einer Vollzeitstelle, wenn man sich auf die Essenz konzentriert.
pme: Wie spricht man den Teilzeitwunsch im Unternehmen an?
BA: Am besten punktet man mit einem gut durchdachten Konzept, wie die Teilzeit am eigenen Arbeitsplatz praktisch umsetzbar ist. Je konkreter die Idee für das eigene Arbeitszeitmodell und detaillierter die Vorstellung, wie die Arbeit auch in Teilzeit erledigt werden kann, desto besser.
Es muss erkennbar sein, dass dabei auch die Interessenlage des Arbeitgebers hinreichend berücksichtigt wurde und seitens der Führungskraft Verhandlungsbereitschaft besteht.
pme: Wie muss das Unternehmen kulturell aufgestellt sein? Welche Verbündete braucht es?
BA: Wichtig ist die Offenheit der Unternehmensleitung für innovative Arbeitszeitmodelle, die den Interessen der Beschäftigten entgegenkommen und auch für das Unternehmen zahlreiche Vorteile bieten.
Diese Bereitschaft muss im Unternehmen klar kommuniziert und deren Einhaltung von den Führungskräften eingefordert werden. Auch ein einzelner Modellversuch hat eine Chance, wenn ein maßgeblicher Entscheider, beispielsweise der direkte Vorgesetzte, als Verbündeter gewonnen werden kann und die grundsätzliche Akzeptanz besteht.
pme: Wie gewinne ich mein Team für dieses Modell?
BA: Das Team muss wissen, wann die Führungskraft anwesend ist, wer sie vertritt und wer welche Aufgaben und Kompetenzen hat. Bekommen Mitarbeiter Tätigkeiten der Führungskraft übertragen, müssen an deren Arbeitsplätzen die Kapazitäten dafür geschaffen werden. Ihnen muss klar sein, dass ihre eigenen Fähigkeiten dadurch aufgewertet werden.
Die Führungskraft sollte durch ihr Verhalten signalisieren, dass sie trotz verkürzter Arbeitszeit die volle Verantwortung trägt und für das Team präsent bleibt.
pme: Meist ist der Wunsch nach Teilzeit verbunden mit anderen Aufgaben, zum Beispiel der Pflege eines Angehörigen oder der Kindererziehung. Wie muss ich mich organisieren, um meine Führungsrolle und meine privaten Aufgaben gleichermaßen zu stemmen?
BA: Eine Führungskraft in Teilzeit mit Familienpflichten sollte sich in allen Bereichen auf die wesentlichen Aufgaben konzentrieren, Unwichtiges weglassen und so viel wie möglich an Hilfskräfte delegieren: an die Mitarbeiter im Team, an Familienmitglieder, Freunde und andere hilfreiche Geister wie beispielsweise eine Tagesmutter, eine Haushaltshilfe, einen Gärtner oder einen Steuerberater.
pme: Funktioniert eine Teilzeit-Führungsrolle wirklich, wenn noch zwei kleine Kinder zu versorgen sind?
BA: Ja, es funktioniert, wenn sie oder er im Büro und zu Hause konsequent Prioritäten setzt, sich nicht mit Nebensächlichkeiten aufhält und nicht den Anspruch erhebt, überall dabei zu sein und alles perfekt machen zu wollen. Die Führungskraft benötigt Disziplin, um Ihre Vorsätze und Zeitfenster einzuhalten, und sollte sich eine möglichst effiziente Arbeitsweise aneignen.
pme: Sind es denn nur Menschen mit Familienverantwortung, die sich Teilzeitmodelle auf der Führungsebene wünschen?
BA: Nein, dafür gibt es unterschiedliche und sehr individuelle Gründe: die Notwendigkeit, Angehörige zu pflegen, der Wunsch, neben dem Beruf zu studieren, ein aufwendiges Ehrenamt auszuüben, eine sportliche Herausforderung anzunehmen oder ein Buch zu schreiben. Ich kenne zudem einige Führungskräfte der Generation um die 50/55 plus, die im Job schon alles erreicht haben und karrieretechnisch keine großen Sprünge mehr machen wollen. Viele wünschen sich eine Reduzierung der Arbeitszeit und könnten sich das finanziell auch leisten. Aber die wenigsten tun es. Sie fürchten einen Imageverlust.
pme: Aber wäre es nicht optimal, wenn die Älteren zurückfahren, um den Jüngeren Platz zu machen?
BA: Natürlich. Der Wissenstransfer wäre ideal: Erfahrene Führungskraft zieht Nachfolger nach.
pme: Ein Kapitel Ihres Buches heißt „Teilzeitkräfte führen anders!“. Nämlich wie?
BA: Sie haben mehr Verständnis für die Wünsche ihrer Mitarbeiter nach Flexibilisierung der Arbeitszeit und finden dafür Möglichkeiten. Außerdem haben sie einen geschulten Blick für Zeitfresser und Unwesentliches, was sich auf ihr Umfeld positiv auswirkt.
pme: Im Moment arbeiten nur fünf Prozent der Führungskräfte in Deutschland in Teilzeit. Machen Sie eine Prognose für die Zukunft?
BA: Führen in Teilzeit wird in Zukunft noch stärker nachgefragt werden. Es gab noch nie so viele gut ausgebildete Frauen wie heute, die zunehmend auch im Beruf Verantwortung übernehmen und dennoch nicht auf eine Familie verzichten wollen. Auch viele junge Väter haben den Wunsch, sich stärker in der Familienarbeit einzubringen.
Außerdem werden immer vielfältigere Lebensformen, die Notwendigkeit permanenter Fortbildung und die steigende Lebensarbeitszeit dazu führen, dass auch Menschen in leitenden Positionen in bestimmten Lebensphasen eine verkürzte Arbeitszeit nachfragen. Firmen, die diese Möglichkeit schon heute realisieren, sind im Vorteil beim Wettbewerb um die Besten!
Brigitte Abrell ist Niederlassungsleiterin einer großen deutschen Versicherung. Sie hat fast dreißig Jahre Erfahrung als Führungskraft, davon nach der Geburt ihres Sohnes zwölf Jahre in Teilzeit (80 Prozent der Normalarbeitszeit). „Die Reduzierung meiner Arbeitszeit hat es mir ermöglicht, meinen interessanten Beruf weiter auszuüben und dennoch genug Zeit für mein Familienleben zu haben. Diese Lebensweise ist oft anstrengend, beinhaltet aber Erfahrungen aus beiden Welten und ist daher sehr vielfältig, abwechslungsreich und erfüllend.“
Mehr zum Thema? Lesen Sie das Buch von Brigitte Abrell: "Führen in Teilzeit: Voraussetzungen, Herausforderungen und Praxisbeispiele", Verlag Springer Gabler 2015